Ich denke, also bewege ich mich in angemessener Geschwindigkeit

- Anne Landhäußer –

Ob wir Dingen eine Denkleistung zuschreiben, hängt davon ab, wie schnell sie sich bewegen.

Wer einmal von heimtückischen Krähen zielgenau mit Bucheckern beworfen wurde, wird die Auffassung teilen, dass manche Tiere nicht nur ihren eigenen Kopf haben, sondern diesen auch zu nutzen wissen. Was „Verstand“ genau ist und wer über einen solchen verfügt, darüber diskutierten bereits die Philosophen des Altertums. Heute würde kaum mehr jemand die Meinung vertreten, dass die Fähigkeit zu denken und zu planen einzig und allein dem Homo Sapiens vorbehalten ist. Einer Katze, die sich mit Nachdruck an unsere Beine schmiegt und herzzerreißend maunzt, schieben wir unmittelbar einen durchdachten Plan in die nicht vorhandenen Schuhe: Die will doch nur Futter! Einem um unsere Beine surrenden Staubsauger trauen wir eine ähnliche Intention allerdings nicht zu. Wir Menschen haben Verstand genug, um zu unterscheiden, wer sonst noch Verstand haben könnte und wer nicht.

Das ist evolutionär betrachtet ganz gut so, immerhin identifizieren wir auf diese Art potentielle Feinde und Verbündete. Dabei unterscheiden wir nicht nur zwischen „Verstand“ und „kein Verstand“, sondern nehmen Abstufungen vor: So können wir durchaus Unterschiede zwischen den Verstandesleistungen eines Faultiers und denen eines Physikprofessors feststellen. Dass bei der Attribution von Verstand allerdings nicht nur unser Vorwissen eine Rolle spielt, veranschaulichten die amerikanischen Sozialpsychologen Carey Morewedge, Jesse Preston und Daniel Wegner mit Hilfe mehrerer Studien. Es gelang ihnen nachzuweisen, dass die Bewegungs­geschwindigkeit hierbei eine maßgebliche Rolle spielt.

Morewedge und Kollegen zufolge trauen wir denjenigen Objekten ein denkendes und planendes Bewusstsein zu, die sich in einer ähnlichen Geschwindigkeit bewegen wie wir Menschen. Erst wenn wir uns das Wachstum einer Pflanze im Zeitraffer ansehen, scheint es uns, als würde sie sehnsuchtsvoll in Richtung Sonne streben. Die schnellen Bewegungs­abläufe eines Profisportlers dagegen erscheinen uns oft wie automatisch abgespult, ohne dass wir nachvollziehen können, was derjenige im Moment vor der Bewegung gedacht haben mag.

Ähnliches trifft auch auf Roboter, animierte Formen und Actionfiguren zu. Die Forscher ließen ihre Versuchspersonen neun Filme ansehen, von denen drei in Zeitlupe abgespielt wurden, drei im Zeitraffer und drei so schnell, dass die Bewegungen der gefilmten Objekte in einer für menschliche Bewegungen typischen Geschwindigkeit erfolgten. In den Filmen tanzten etwa Plastikfiguren, Roboter schlugen Nägel in die Wand oder ein Rechteck jagte einem Kreis hinterher. Die Teilnehmer beantworteten im Anschluss Fragen dazu, inwieweit die zu beurteilenden Objekte Bewusstsein zu haben und über ihre Handlung nachzudenken schienen, wie intentional und wie intelligent ihr Verhalten wirkte. Dabei zeigte sich, dass den Objekten, die sich in typisch menschlicher Geschwindigkeit bewegten, eine weit größere Denk­fähigkeit zugeschrieben wurde als denjenigen, die sich langsamer bewegten. Vor allem aber den sich rasend schnell bewegenden Figuren wurde jede Intentionalität abgesprochen, vermutlich, weil ihre Bewegungen wie automatisiert wirkten.

In einer anderen Studie sollten die Versuchspersonen die Verstandesleistungen echter Menschen bewerten, die ihnen in Filmsequenzen dargeboten wurden. Diese Filme zeigten jeweils mehrere Leute, die eine Straße entlanggingen, wobei die zu beurteilende Person entweder so schnell lief wie alle anderen oder aber deutlich langsamer beziehungs­weise deutlich schneller. Den Personen, die sich in normaler Geschwindigkeit bewegten, wurde mehr Bewusstsein und Intelligenz zugeschrieben als den langsamen und schnellen Fußgängern. Wer intelligent erscheinen möchte, sollte demnach auf die Geschwindigkeit der eigenen Bewegungen achten.

Dass der beobachtete Effekt nicht auf die absolute Geschwindigkeit zurückzuführen ist, sondern auf die Geschwindigkeit im Vergleich zu menschlichen Wesen, zeigten Morewedge und Kollegen in einer dritten Studie, bei der sie Filmsequenzen zeigten, in denen sich ein lilaner Fleck durch eine Stadt bewegte. Während dieser Fleck in allen Filmen die gleiche Bewegungs­geschwindigkeit aufwies, wurde die Geschwindigkeit der ebenfalls sichtbaren animierten Menschen manipuliert: Mal bewegten sie sich wie das lilane Zielobjekt in typisch menschlicher Geschwindigkeit, mal langsamer und mal schneller. Obwohl sich der Fleck immer gleich schnell fortbewegte, schrieben die Versuchsteilnehmer ihm nur dann Denk­fähigkeit zu, wenn die Menschen in seiner Umgebung die gleiche Geschwindigkeit an den Tag legten.

Woran es liegt, dass wir gerade das für intelligent halten, was sich in unserem eigenen Tempo bewegt, darüber können die Forscher nur spekulieren. Zum Einen erklären sie den Effekt mit der Evolution: Bei einem Tier oder einem Objekt ein Bewusstsein zu vermuten, ist uns nur dann nützlich, wenn wir auf das Verhalten dieses Tiers oder dieses Objekts auch reagieren können. Dies wiederum können wir nur, wenn es eine für uns durchschaubare Bewegungs­abfolge an den Tag legt. Zum Anderen vermögen wir nur dann einen Sinn in einer Bewegung zu erkennen, wenn diese Bewegung in einer Geschwindigkeit erfolgt, die uns den Vorgang begreifen lässt. Außerdem sei angemerkt, dass jeder Mensch dazu tendiert, gerade diejenigen für besonders intelligent zu halten, die ihm besonders ähneln. Das ist darauf zurückzuführen, dass jedes Individuum sehr genau weiß, zu welchen Denkleistungen es selbst fähig ist – während es in die Köpfe der anderen nicht hineinzusehen vermag.

Die Er­kenntnisse der Forschungs­gruppe um Morewedge sind nicht nur interessant, sie haben auch soziale Implikationen. So scheint es denkbar, dass ein Autofahrer andere Verkehrs­teilnehmer automatisch als weniger kompetent beurteilt, nur weil diese langsamer oder schneller fahren als er selbst. Auch ist es möglich, dass die Diskriminierung alter Menschen zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie sich aufgrund gesundheitlicher Probleme oft weit langsamer bewegen als Menschen in ihren besten Jahren. Langsame Menschen jedoch sollte man nie unterschätzen. Ob sich das Faultier in ferner Zukunft als besonders intelligent erweisen wird, das steht allerdings in den Sternen.

Morewedge, Preston & Wegner (2007). Timescale Bias in the Attribution of Mind. Journal of Personality and Social Psychology, 93 (1), 1–11.

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