Ist Ordnung nur das halbe Leben?

- Judith Tonner –

Eine ordentliche Umgebung führt zu eher konventionellem und häufig erwünschtem Verhalten, Unordnung hingegen eher zu unkonventionellem Verhalten, aber damit auch zu Kreativität.

Wie sieht es auf Ihrem Schreibtisch aus? Sind Sie eher der ordentliche Typ oder eher unordentlich? Unabhängig von Ihrer Antwort hatten Sie bisher vielleicht auch den Eindruck, dass Ordnung als Ideal angesehen wird, während Unordnung meistens unerwünscht zu sein scheint. Schließlich wird immer gepredigt: „Ordnung ist das halbe Leben“. Aber was ist die andere Hälfte – Unordnung? Muss diese dann nicht auch eine positive Seite haben?

Dieser Frage gingen Kathleen Vohs und ihr Forschungs­team von der Universität Minnesota nach. Sie stützten sich unter anderem auf die Idee, dass Ordnung mit Strukturiertheit und Anstand, Unordnung hingegen mit Abweichungen und Tabus assoziiert ist. Zudem gibt es Befunde, nach denen Personen mit einer Vorliebe für Ordnung eher Traditionen und Konventionen schätzen, während Personen, denen Unordnung nichts ausmacht, Unstimmigkeiten eher tolerieren und Unabhängigkeit genießen. Die Forschenden nahmen an, dass eine (un)ordentliche Umgebung zeitweilig ähnliche Einflüsse auf die Vorlieben von Menschen und ihr Verhalten haben kann. Entsprechend sollte Ordnung zu konventionellerem Verhalten führen, Unordnung hingegen eher zu unkonventionellem Verhalten – was jeweils in Abhängigkeit von der Situation gut oder schlecht sein kann.


Um die Annahmen zu überprüfen, ließ das Forschungs­team die Teilnehmenden einer ersten Studie entweder in einem ordentlichen oder unordentlichen Raum mehrere Aufgaben bearbeiten. Dies hatte jedoch lediglich den Zweck, sie der jeweiligen Umgebung auszusetzen. Im Anschluss hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eine kleine Spende für wohltätige Zwecke zu tätigen (wobei der Betrag für die Versuchsleitung nicht sichtbar war) und konnten abschließend als Belohnung zwischen einem Apfel oder einem Schokoriegel wählen. Die Ergebnisse bestätigten die Annahmen des Forschungs­teams, dass eine ordentliche Umgebung zu konventionellerem und damit in diesem Fall erwünschterem Verhalten führt: Diejenigen, die sich in einer ordentlichen Umgebung aufgehalten hatten, spendeten doppelt so viel Geld und griffen mehr als dreimal so oft zum Apfel verglichen mit denjenigen, die in einem unordentlichen Raum gearbeitet hatten.


In einer zweiten Studie wurden mögliche positive Folgen einer unordentlichen Umgebung untersucht. Dazu überlegte sich das Forschungs­team, wann das Nicht-Einhalten von Konventionen erwünscht sein könnte und kam auf Situationen, in denen Kreativität gefragt ist. Um diese zu erfassen, sollten die Teilnehmenden so viele Ideen wie möglich für die Nutzung von Ping-Pong-Bällen aufschreiben. Tatsächlich produzierten jene in einem unordentlichen Raum originellere Ideen als jene in einem ordentlichen Raum, auch wenn sie im Schnitt gleich viele Ideen auflisteten.  


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle Annahmen bestätigt werden konnten: Offenbar führt eine ordentliche Umgebung zu angepassterem Verhalten, während Unordnung kreativer macht. Die Realität ist also wohl weniger schwarz-weiß als gedacht: Ordnung scheint tatsächlich nur das halbe Leben zu sein und Unordnung kann – abhängig von den Anforderungen – auch zielführend sein. Sie können es ja demnächst einmal ausprobieren!


Vohs, K., Redden, J. P., & Rahinel, R. (2013). Physical order produces healthy choices, generosity, and conventionality, whereas disorder produces creativity. Psychological Science, 24, 1860-1867.

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