Kann man unter positiven Erinnerungen leiden?

- Jochen Gebauer –

Positive Erinnerungen senken das Selbstwertgefühl von traurigen Menschen.

„Don't let the past remind us of what we are not now“. Dieser Satz stammt aus dem Song Suite: Judy Blue Eyes (Crosby, Stills und Nash, 1969). Ins Deutsche übersetzt lautet er: „Lasst nicht zu, dass die Vergangenheit uns daran erinnert, was wir jetzt nicht sind“. Und doch machen wir häufig genau dies. Zum Beispiel ist es im Kampf gegen Altersdepression eine populäre Methode, in positiven Jugenderinnerungen zu schwelgen. Warum sollen wir also—nach Suite: Judy Blue Eyes—es nicht zulassen, dass uns die Vergangenheit daran erinnert, was wir jetzt nicht sind? Oder irren sich Crosby und Kollegen? Hat es vielleicht doch immer positive Konsequenzen sich an vergangene Stärken zu erinnern—auch wenn man sich momentan nicht sehr stark fühlt? Diesen Fragen sind wir in einer aktuellen Arbeit nachgegangen. Unsere Befunde weisen darauf hin, dass sich Crosby und Kollegen nicht irren, sondern mit ihrem Ratschlag goldrichtig liegen: Manchmal ist es besser, wenn wir nicht durch Vergangenes daran erinnert werden, was wir heute nicht mehr sind.

Dazu haben wir untersucht, ob alle Menschen davon profitieren, wenn sie sich an Positives aus ihrer Vergangenheit erinnern. Die Teilnehmenden unserer Studien wurden gebeten, sich an die positivsten Selbstaspekte zu erinnern, die sie selbst vor fünf Jahren besessen haben. Wenn der Liedtext aus Suite: Judy Blue Eyes stimmt, dann sollten Menschen, die ihrem jetzigen Selbst negative Attribute zuschreiben (z.B. beschämt, schuldig und schwach), sich nach dem Erinnern an sehr positive vergangene Selbstaspekte noch schlechter fühlen als zuvor. Tatsächlich fanden wir genau dies. Das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden, die ihrem jetzigen Selbst negative Attribute zuschrieben, senkte sich kurzzeitig durch die positiven Erinnerungen ab. Im Gegensatz dazu fühlten sich die Teilnehmenden, die ihrem jetzigen Selbst positive Attribute zuschrieben, nach dem Erinnern noch besser als zuvor—sie hatten ein gesteigertes Selbstwertgefühl.

Welche Mechanismen sind für diese Ergebnisse verantwortlich? Wer seinem jetzigen Selbst hauptsächlich positive Attribute zuschrieb, für den fühlten sich die erinnerten, besonders positiven Selbstaspekte zeitlich sehr nahe an. Diese Teilnehmenden glaubten daher, dass die erinnerten, besonders positiven Selbstaspekte ein Teil ihres jetzigen Selbst sind, was wiederum ihr Selbstwertgefühl steigerte. Wer jedoch seinem jetzigen Selbst hauptsächlich negative Attribute zuschrieb, für den fühlten sich die erinnerten, besonders positiven Selbstaspekte zeitlich sehr weit weg an. Daher glaubten diese Teilnehmenden, dass die erinnerten positiven Selbstaspekte kein Teil ihres jetzigen Selbst mehr sind. Im Vergleich zu ihrem tollen Selbst von damals standen diese Teilnehmenden nun quasi als Verlierer da, was ihrem Selbstwertgefühl kurzfristig einen Dämpfer versetzte. Wenn es einem gerade schlecht geht, dann sollte man sich also nicht mit den eigenen früheren Sonnenseiten vergleichen—die gegenwärtige Situation erscheint dadurch nur noch negativer.

Gebauer, J. E., Broemer, P., Haddock, G., & von Hecker, U. (2008). Inclusion-exclusion of positive and negative past selves: Mood congruence as information. Journal of Personality and Social Psychology, 95, 470–487.

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