Mehrheitliche Meinung, aber einzigartiger Geschmack

- Rainer Greifeneder –

Die Mehrheit soll meiner Meinung sein, aber bitte einen anderen Geschmack haben.

Ob Ausstieg aus der Atomenergie, Abtreibung oder Integration von Ausländern: zu vielen Themen haben wir eine Meinung, und die Forschung zeigt, dass wir uns in dieser Meinung gerne durch andere bestätigt sehen. Wer will schon mit der eigenen Meinung alleine dastehen?

Gleichzeitig zeigt die Forschung aber auch, dass wir häufig bewusst danach streben, uns von anderen zu unterscheiden. Die meisten Menschen sehen sich selbst gerne im besten Licht, und dieses Selbstbild strahlt umso heller, je mehr „die anderen“ anders und am besten „schlechter“ sind. Durch einen eigenen Stil setzen wir Akzente, und auf den Einheitslook und das Otto-Normalverbraucherhandy verzichten wir lieber. Wir mögen es also auch, wenn die anderen uns nicht zustimmen und wir irgendwie einzigartig sind. Wie lassen sich diese beiden widersprüchlichen Tendenzen unter einen Hut bringen?

Das Team um den englischen Sozialpsychologen Russel Spears unterscheidet dafür zwischen Meinung und Geschmack. Während wir uns mit unseren Meinungen gerne in der Mehrheit wägen, bevorzugen wir in Sachen Geschmack den Sonderstatus. Das zumindest zeigen gleich mehrere Studien, in denen die Teilnehmenden entweder über Meinungen oder Geschmäcker nachdachten. In einer Studie wurde beispielsweise die eine Hälfte der Teilnehmenden danach befragt, ob sie in einer politischen Diskussion lieber über ein ökonomisches oder ökologisches Thema sprechen würden. Bei beiden Themen geht es um das Vertreten einer Meinung und weniger um den persönlichen Geschmack. Die andere Hälfte der Teilnehmenden hingegen wurde gefragt, ob sie lieber Pop- und Rockmusik oder aber House und Dance hören. Musikalische Vorlieben haben mehr mit Geschmack als mit Meinungen zu tun. Anschließend gaben alle Teilnehmenden die ideale Größe ihrer Teil-Gruppe an, also beispielsweise die Größe der Teil-Gruppe, die für eine bestimmte ökologische Meinung eintritt, oder die Größe der Teil-Gruppe, die lieber Pop-Musik hört. Die Ergebnisse zeigen, dass bei den Meinungen große Teil-Gruppen und damit viel Unterstützung bevorzugt werden. Beim Thema Geschmack hingegen äußerten die Teilnehmenden eine starke Präferenz für kleine Teil-Gruppen und damit möglichst viel Unterschiedlichkeit zu anderen. Das galt auch, wenn über das gleiche inhaltliche Thema geurteilt wurde, aber einmal aus Meinungs- und einmal aus Geschmacksperspektive.

Unter anderem wird dies darauf zurückgeführt, dass es bei Meinungen um Ansehen und Macht geht und daher viel Unterstützung gut ist. Beim Thema Geschmack geht es dagegen um die Abgrenzung von anderen, so dass Exklusivität wichtiger als Unterstützung ist. Diese Befunde mögen erklären, warum sich Geschmäcker für Kleidung und Stil so schnell ändern und die Haute Couture stets darauf bedacht ist Neues zu präsentieren. Und diese Befunde mögen auch einen Hinweis darauf erlauben, warum junge Leute – die sich in der Pubertät gerne von den dann oft „peinlichen“ Eltern abgrenzen – dies laut soziologischer Forschung häufig über einen anderen (cooleren) Geschmack tun und weniger über andere Meinungen (zum Papst, der Bundes­kanzlerin oder der Wirtschafts­krise). 

R. Spears, N. Ellemers, & B. Doosje (2009). Strength in numbers or less is more? A matter of opinion and a question of taste. Personality and Social Psychology Bulletin, 35(8), p. 1099-1111.

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