Müde Erinnerung

- Meliha Muratagic –

Die Erinnerung an ein Ereignis ist leichter zu verfälschen, wenn man bei der Beobachtung des Ereignisses unter Schlafmangel litt.

„Ich kann mich noch genau an den Überfall erinnern. Der Täter drohte der Angestellten mit einer Pistole und verlangte das gesamte Geld.“ Dass der Täter die Angestellte eigentlich mit einem Messer bedrohte, zeigen Bilder einer Überwachungs­kamera. Das Beispiel verdeutlicht, dass einen die eigene Erinnerung trügen kann. Dabei können erinnerte Einzelheiten zum Beispiel vor Gericht sehr wichtig sein. So sind bereits Fälle bekannt, bei denen aufgrund falscher Erinnerungen von ZeugInnen Personen zu Unrecht verurteilt wurden. 

Erinnerungen an vergangene Ereignisse werden nicht aus dem Gedächtnis abgerufen, sondern rekonstruiert. Dabei können sie jedoch durch verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel später hinzukommende Informationen oder suggestive Fragen, verfälscht werden. Unter bestimmten Bedingungen sind unsere Erinnerungen besonders leicht durch diese Faktoren zu beeinflussen. Da Schlafmangel nachweislich die kognitive Leistung beeinträchtigt, nahm ein Forschungs­team um Steven Frenda an, dass Erinnerungen vor allem bei zu wenig Schlaf durch zusätzlich erhaltene Informationen verfälscht werden.  

Um seine Annahme zu testen, führte das Forschungs­team eine Studie mit 104 Studierenden einer US-amerikanischen Universität durch. In einem ersten Schritt wurden den Teilnehmenden von zwei Ereignissen (Einbruch in ein geparktes Fahrzeug und Taschendiebstahl) jeweils 50 Fotos gezeigt. In einem zweiten Schritt lasen sie eine Beschreibung der beiden gezeigten Ereignisse, die jedoch für jedes Ereignis drei falsche Informationen enthielt. Im letzten Schritt beantworteten die Teilnehmenden Fragen zu den Fotos, die der Über­prüfung dienten, ob ihre Erinnerungen durch die falschen Informationen in den Beschreibungen verfälscht wurden. Die Studie begann für alle Teilnehmenden am späten Abend. Während ein Teil von ihnen die ganze Nacht über wach bleiben sollte (Schlafmangel-Gruppe), durften die anderen acht Stunden schlafen (ausgeruhte Gruppe). Außerdem sah ein Teil der Studierenden die Fotos von den Ereignissen noch am selben Abend, wohingegen den anderen die Fotos erst am nächsten Morgen gezeigt wurden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Teilnehmenden der Schlafmangel-Gruppe im Vergleich zur ausgeruhten Gruppe mehr falsche Informationen über die Ereignisse erinnerten, wenn ihnen die Fotos erst am Morgen gezeigt wurden und sie somit bereits während der Betrachtung der Fotos unter Schlafmangel litten. Wurden die Fotos hingegen am Vorabend betrachtet, so dass nur das Lesen der verfälschten Beschreibungen und der Erinnerungs­test unter Schlafmangel erfolgte, gab es hinsichtlich der Anzahl an verfälschten Erinnerungen keine Unterschiede zwischen der Schlafmangel- und der ausgeruhten Gruppe. In einer weiteren Studie konnten die Forschenden zeigen, dass auch ein verkürzter Schlaf (fünf oder weniger Stunden) bereits ausreicht, um falsche Erinnerungen zu begünstigen. Eine naheliegende Erklärung ist eine durch Schlafmangel hervorgerufene Einschränkung der Gedächtnisprozesse, die an der Abspeicherung von Informationen beteiligt sind. Schlafmangel könnte also das Abspeichern von Ereignissen erschweren und die Erinnerungen dadurch anfälliger für Fehler machen.

Die Studien zeigen, dass Schlafmangel falsche Erinnerungen begünstigen kann. Bei Zeugenaussagen sollte also nicht nur auf eine mögliche Beeinflussung der Aussage durch die Art der Befragung geachtet, sondern auch der Zustand der ZeugInnen während der Beobachtung der Tat berücksichtigt werden.

Frenda, S. J., Patihis, L., Loftus, E. F., Lewis, H. C., & Fenn, K. M. (2014). Sleep deprivation and false memories. Psychological Science, 25 (9), 1674-1681. doi: 10.1177/0956797614534694

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Jennifer Eck*, Judith Tonner

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