Sich selbst rein und andere dreckig waschen

- Oliver Genschow –

Sich die Hände zu waschen führt zu mehr Sauberkeit, lässt das Verhalten anderer jedoch unmoralischer erscheinen.

Für die meisten Menschen ist Waschen ein tägliches Ritual. Ein möglicher Grund dafür mag der daraus resultierende Schutz vor Krankheitserregern sein. Allerdings ist Sauberkeit nicht nur ein rein physischer Zustand, sondern wird in vielen Kulturen mit moralischer Reinheit gleichgesetzt. Beispielsweise waschen sich Anhänger mancher Religionen, um sich von Sünden reinzuwaschen. Könnte es daher sein, dass Waschen einen Einfluss auf moralisches Verhalten und Urteilen hat?

Dieser Frage widmete sich das Forschungs­team um Chen-Bo Zhong von der Universität Toronto. In einem ihrer Experimente sagten sie den Teilnehmenden, dass der Laborraum komplett neu ausgestattet sei. Eine Hälfte der Teilnehmenden wurde deshalb gebeten, sich die Hände mit Frischetüchern zu säubern; die andere Hälfte der Teilnehmenden erhielt diese Aufforderung dagegen nicht. Alle Teilnehmenden bearbeiteten dann einen Fragebogen und schätzten verschiedene Verhaltensweisen wie Drogenkonsum, Pornografie oder Ehebruch als unmoralisch bis moralisch ein.

Wie erwartet wurden die beschriebenen Verhaltensweisen als unmoralischer empfunden, wenn die Probanden sich zuvor die Hände gereinigt hatten. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass die Probanden sich nach dem Händewaschen vermutlich als besonders sauber und moralisch empfanden. Dieses Gefühl von Sauberkeit und Moralität führte dazu, dass das einzuschätzende Verhalten anderer Personen im Vergleich mit sich selbst als unmoralisch wahrgenommen wurde.

Die Bedeutung dieses erhabenen Gefühls der Reinheit und Moralität durch Sauberkeit konnte das Forschungs­team in einer weiteren Studie bestätigen, in der sich studentische Teilnehmende direkt mit anderen Studierenden verglichen. Auch hier zeigte sich, dass durch persönliche Reinlichkeit der eigene moralische Charakter im Vergleich zu anderen höher eingeschätzt wurde.

Wie die Ergebnisse zeigen, schützt Händewaschen also nicht nur vor der Ansteckung gesundheitsschädlicher Erreger, sondern beeinflusst darüber hinaus auch moralische Urteile negativ: durch das trügerische Gefühl von Sauberkeit kann das Handeln anderer Personen als unmoralisch eingeschätzt werden.

Zhong, C. –B., Strejcek, B., & Sivanathan, N. (2010). A clean self can render harsh moral judgments. Journal of Experimental Social Psychology, 46, 859–862.

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