Bei Anna läuft es im Moment nicht gut bei der Arbeit. Martin plagen finanzielle Probleme. Lisa streitet sich ständig mit ihrem Freund. Doch beim gemeinsamen Feierabendbier scheinen alle in guter Stimmung zu sein. Auf die gegenseitige Frage, wie es denn so ginge, folgt die unverbindliche Antwort: „Gut soweit“. Auf dem Heimweg dann geht jede/
Die amerikanischen Wissenschaftler Alexander Jordan und seine KollegInnen nennen zwei mögliche Gründe, warum wir das Auftreten negativer Gefühle bei anderen häufig unterschätzen. Zum einen geht es Personen meist besser, wenn sie nicht allein, sondern mit anderen zusammen sind. Da wir andere aber nur beobachten können, wenn wir mit ihnen zusammen sind, nehmen wir bei anderen viel seltener negative Gefühle wie zum Beispiel Traurigkeit wahr als diese Gefühle tatsächlich auftreten. Zum anderen ist es Personen oft unangenehm öffentlich zuzugeben, dass es ihnen nicht gut geht. Sie unterdrücken deshalb häufig ihre negativen Gefühle, wenn andere dabei sind. Dies führt zu dem trügerischen Eindruck, dass es den Menschen um uns besser gehe als das der Fall ist. Welche Konsequenzen hat das für uns als Beobachter? Ein Vergleich mit Personen, denen es (vermeintlich) besser geht als uns selbst, kann bewirken, dass es uns selbst dadurch schlechter geht.
Diese Überlegungen werden durch eine Reihe von Studien gestützt. Diese zeigen, dass Personen ihre negativen Gefühle eher vor anderen verbergen als ihre positiven Gefühle. Außerdem wurde das Auftreten negativer Gefühlen bei anderen (FreundInnen, MitbewohnerInnen oder PartnerInnen) unterschätzt, während die Häufigkeit positiver Gefühle bei anderen überschätzt wurde. Und es zeigte sich, dass die Unterschätzung negativer Gefühle anderer und die Überschätzung positiver Gefühle anderer mit einem schlechteren eigenen Wohlbefinden einhergingen: man fühlt sich einsamer, grübelt mehr und ist unzufriedener mit dem eigenen Leben.
Damit ist die (chronische) Unterdrückung negativer Gefühle nicht nur schädlich für das eigene Wohlbefinden, wie frühere Forschung wiederholt gezeigt hat. Sie führt bei unseren Mitmenschen auch zu dem Eindruck, sie seien mit ihren Sorgen allein, und dies wirkt sich wiederum negativ auf das Befinden unserer Mitmenschen aus. Negative Gefühle zu verbergen ist also doppelt schlecht: für uns selbst und für andere.
Heißt das nun, dass wir immer gleich jedem x-beliebigen Menschen unsere Seelenwelt anvertrauen müssen? Sicher nicht. Aber wenn wir nach einem harten Arbeitstag beim nächsten Feierabendbier gefragt werden, wie es uns geht, dürfen wir ruhig ehrlich antworten – und uns dabei gewiss sein: mit unserem Trübsal sind wir nicht so allein, wie wir vielleicht denken.
Jordan, A. H., Monin, B., Dweck, C. S., Lovett, B. J., John, O. P., & Gross, J. J. (2011). Misery has more company than people think: underestimating the prevalence of other’s negative emotions. Personality and Social Psychology Bulletin, 37(1), 120–135.
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