Und die Moral von der Geschicht‘: Bange machen führt zu nichts

- Ann-Katrin Rost –

Bei Kindern lässt sich ehrliches Verhalten eher fördern, wenn in Moralgeschichten auf die positiven Folgen von Ehrlichkeit anstatt auf die negativen Folgen von Unehrlichkeit hingewiesen wird.

Traditionelle Geschichten wie Pinocchio sind vielen Menschen bekannt. Sie werden auch deshalb erzählt, um Kindern moralische Werte zu vermitteln und zum Beispiel die Bedeutung von Ehrlichkeit und die Folgen von Lügen aufzuzeigen. Aber können diese Geschichten tatsächlich dazu beitragen, dass sich Kinder ehrlich(er) verhalten?

Dieser Frage ging ein kanadisches Forschungs­team um Kang Lee nach. Es untersuchte, welche Wirkung drei gängige Moralgeschichten auf die Ehrlichkeit von Kindern ausüben –  nämlich Pinocchio, Der Hirtenjunge und der Wolf sowie George Washington und der Kirschbaum. Die ersten beiden Geschichten betonen die negativen Konsequenzen von Unehrlichkeit, wie zum Beispiel die lange Lügennase von Pinocchio. Die letzte Geschichte hebt dagegen die positiven Folgen von Ehrlichkeit hervor. So wird der junge George Washington von seinem Vater gelobt, als er eine schlechte Tat gesteht. 

Das Forschungs­team vermutete, dass jede dieser drei Geschichten – die letztlich alle um Ehrlichkeit werben – im Vergleich zu einer neutralen Geschichte ehrliches Verhalten bei Kindern begünstigt. Darüber hinaus sollte geklärt werden, ob eher das Aufzeigen der negativen Konsequenzen des Lügens oder die Darstellung der positiven Folgen der Ehrlichkeit selbige bei Kindern hervorruft. Zum einen zeigen wissenschaft­liche Befunde, dass die Aussicht auf negative Konsequenzen vor unmoralischem Verhalten abschrecken kann. Dies lässt eine größere Wirksamkeit der Geschichten mit dem negativen Beispiel (Pinocchio bzw. der Hirtenjunge) erwarten. Zum anderen weist bisherige Forschung darauf hin, dass Lob für positives Handeln bei Kindern wünschenswerteres Verhalten hervorrufen kann als Strafe für negatives Handeln. Diese Ergebnisse sprechen für eine größere Wirksamkeit der Geschichte mit dem positiven Vorbild (George Washington).

Um diese Forschungs­fragen zu klären, wurden zwei Studien durchgeführt. In einem ersten Experiment sollten Kinder zwischen drei und sieben Jahren ein Spielzeug anhand seines Geräuschs erraten (zum Beispiel eine Spielzeugente anhand des Quakens). Während der Aufgabe verließ die Versuchsleitung den Raum und bat die Kinder, nicht nachzuschauen, um welchen Gegenstand es sich handele. Zwei Drittel der Kinder tat dies dennoch. Nach Rückkehr der Versuchsleitung wurde jedem Kind eine der drei Moralgeschichten oder eine neutrale Geschichte vorgelesen. Anschließend wurden sie gefragt, ob sie bei dem Ratespiel geschummelt hätten. 

Überraschenderweise hatten die beiden Abschreckungs-Geschichten keine Wirkung auf die Ehrlichkeit derjenigen Kinder, die gemogelt hatten. Eine mit der Kontroll­gruppe vergleichbare Anzahl an Kindern log. Die Vorbild-Geschichte mit George Washington brachte allerdings überzufällig mehr Kinder dazu, die Wahrheit zu sagen. In einer weiteren Studie konnte zudem gezeigt werden, dass auch die Geschichte des jungen Georges die Ehrlichkeit der Kinder nicht mehr förderte, wenn dieser für Lügen bestraft anstatt für Ehrlichkeit gelobt wurde.

In Geschichten die positiven Folgen von Ehrlichkeit darzustellen, bewegt Kinder demnach eher zu ehrlichem Verhalten als die negativen Konsequenzen des Lügens zu beschreiben. Um Kindern den moralischen Wert von Ehrlichkeit zu vermitteln, scheint Lob für Pinocchio & Co. also besser als Strafe zu sein.

Lee, K., Talwar, V., McCarthy, A., Ross, I., Evans, A., & Arruda, C. (2014). Can classic moral stories promote honesty in children? Psychological Science, 25(8), 1630-1636. 

© Forschung erleben 2014, alle Rechte vorbehalten

Zurück