Wenn „Größen-Wahn“ erfolgreich macht

- Martin Schnürch –

In Sportarten, bei denen wie im Golf ein Ziel getroffen werden soll, kann eine verzerrte Wahrnehmung dieses Ziels die sportliche Leistung verbessern.

Sei es im Fußball vor einem Elfmeter, im Basketball vor einem Freiwurf, im Golf vor dem finalen Putt – in diesen Momenten befinden sich SportlerInnen in einem Zustand höchster Konzentration. Es gibt nichts außer ihnen, ihrem Ball und dem Ziel, in das sie ihn befördern wollen. Diesen Zustand, in dem SportlerInnen fast ohne Augenbewegung ihr Ziel fixieren, bezeichnet man als quiet eye („ruhiges Auge“). Gerade professionelle Sportlerinnen und Sportler legen häufig großen Wert auf diesen Moment der Konzentration. Der portugiesische Fußballstar Christiano Ronaldo beispielsweise ist berüchtigt für sein ausgiebiges Ritual vor jedem Freistoß: Er legt den Ball ab, geht ein paar Schritte zurück und bleibt dann einige Sekunden breitbeinig stehen, tief einatmend und voll konzentriert. Nicht nur seine persönliche Trefferquote bei Freistößen, auch bisherige Forschung belegt den Erfolg des ruhigen Auges. Doch was ist der Grund für diesen positiven Effekt?

Die Wissenschaft­lerInnen Jessica Witt, Sally Linkenauger und Dennis Proffitt stellten die Hypothese auf, dass die Wahrnehmung des Ziels entscheidend für die sportliche Leistung sein kann. Objekte, die wir fixieren, nehmen wir größer wahr als umgebende Objekte. So könnte es sein, dass SportlerInnen das fixierte Ziel größer wahrnehmen, als es tatsächlich ist. Das Forschungs­team nahm an, dass genau dies der Schlüssel für bessere Leistung ist: Ein größeres Ziel erscheint leichter zu treffen, was zu größerem Selbstvertrauen führt. Größeres Selbstvertrauen wiederum führt zu besseren Leistungen. Trifft diese Annahme zu, sollten wir bessere Leistungen in sportlichen Aufgaben zeigen, wenn wir unser Ziel als größer wahrnehmen.

Zur Testung dieser Hypothese untersuchte das Team, wie sich die Putting-Leistung von Teilnehmenden an einem experimentellen Golfspiel in Abhängigkeit von der wahrgenommenen Größe des Ziel-Lochs unterschied. Um wie bei Sportler/innen nur die wahrgenommene, nicht aber die tatsächliche Größe des Lochs zu verändern, wurden mit einem Projektor um das Loch herum Kreise dargeboten: entweder 11 kleine oder 5 große. Da wir die Größe eines Objekts relativ zu den umgebenden Objekten wahrnehmen (die sogenannte Ebbinghaus-Illusion), wurde das Loch umgeben von großen Kreisen kleiner wahrgenommen als das Loch desselben Durchmessers umgeben von kleinen Kreisen. Die unterschiedliche Größenwahrnehmung hatte die vorhergesagte Wirkung: Erschien das Loch den Teilnehmenden größer, erzielten sie im Schnitt mehr Treffer als Teilnehmende, die es kleiner wahrnahmen.

Tatsächlich spielt also unsere Wahrnehmung des Ziels eine bedeutende Rolle für den Erfolg in bestimmten Sportarten. Erscheint es uns größer, verbessert sich unsere Leistung, was eine mögliche Erklärung für den Erfolg des ruhigen Auges liefert. In diesem Zusammenhang sollte in zukünftiger Forschung zudem geprüft werden, ob ein höheres Selbstvertrauen durch die Wahrnehmungs­verzerrung entscheidend für den Erfolg ist.  So oder so zeigt die Untersuchung: Ein bisschen „Größen-Wahn“ im Sport kann gar nicht schaden. Im Gegenteil.

Witt, J. K., Linkenauger, S. A., & Proffitt, D. R. (2012). Get me out of this slump! Visual illusions improve sports performance. Psychological Science, 23(4), 397–399.

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