Wenn Religion zur Gefahr wird

- Julia Rohringer –

Die Befürwortung von Selbstmordattentaten hängt mit der Häufigkeit von Gottesdienstbesuchen zusammen.

Fast täglich ereilen uns Meldungen über Selbstmordattentate in Krisengebieten wie Afghanistan oder dem Irak. Und auch die Katastrophe des 11. Septembers 2001 ist uns noch allzu gut in Erinnerung. Tatsächlich ist die Zahl der Selbstmordanschläge in den letzten Jahren rapide gestiegen. Wurden zwischen 1983 und 2000 „nur“ 142 Selbstmordattentate gezählt, so waren es alleine im Jahr 2006 schon über 500!
Bei der kritischen Debatte um die eskalierende Gewalt steht vor allem der Islam immer wieder im Mittelpunkt.

Ein Forschungs­team um Jeremy Ginges stellte sich deshalb die Frage, welche Rolle Religion und insbesondere der Islam bei der Akzeptanz von Selbstmordattentaten spielt und ob es religiöse Indikatoren gibt, die vorhersagen können, dass Selbstmordattentate befürwortet werden.
Als mögliche Erklärungen stellten sie zwei Hypothesen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Die „religious-belief hypothesis“ geht davon aus, dass der Glaube an verschiedene religiöse Überzeugungen wie etwa ein erfülltes Leben nach einem Märtyrertod oder auch die feindliche Einstellung gegenüber anderen Religion, die Akzeptanz von Selbstmordattentaten fördert. Die „coalitional-commitment hypothesis“ besagt, dass Religion die Bildung von kollektiven Identitäten durch Rituale in Gemeinschaften stärkt. Dadurch kann sich ein Individuum der Gruppe so stark verpflichtet fühlen, dass auch Selbstmordanschläge positiv bewertet werden.
In Bezug auf die erste Hypothese wurde der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Gebetes und der Akzeptanz von Selbstmordanschlägen untersucht. Hinsichtlich der zweiten Hypothese wurde der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Gottesdienstbesuches und der Befürwortung von Selbstmordattentaten überprüft.

Die Ergebnisse unterstützen die „coalitional-commitment hypothesis“. Je häufiger ein Gottesdienst besucht wurde, desto eher wurden Selbstmordattentate positiv bewertet. Die Häufigkeit des Gebets hatte hingegen keinen Einfluss. Dieser Zusammenhang konnte für Muslime, Katholiken, Protestanten, Russisch-Orthodoxe, Juden und Hindus repliziert werden, auch wenn der Effekt in der Stärke variiert. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es sich hierbei um rein korrelative Daten handelt und deshalb nicht geklärt werden kann, was die Ursache und was Wirkung ist.
In einem weiteren Experiment wurden Probanden deshalb aufgefordert entweder an ein Gebet oder an einen Gottesdienst zu denken. Es zeigte sich, dass nur die Gedanken an einen Gottesdienst zu einer stärkeren Befürwortung von Selbstmordattentaten führten, nicht aber die Gedanken an ein Gebet.

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse also für die „coalitional-commitment hypothesis“.
Festzuhalten ist auch, dass die Befürwortung von Selbstmordanschlägen religionsunabhängig ist und man daher niemanden wegen seines Glaubens oder seiner Überzeugungen verurteilen sollte. Viel wichtiger ist es, Gruppen­dynamik und die Entwicklungen in religiösen Gemeinschaften im Auge zu behalten, um gefährliche und fundamentalistische Strömungen aufzudecken.


Ginges, J., Hansen, I. G., & Norenzayan, A. (2009). Religion and support for suicide attacks. Psychological Science, 20, 224–230.

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