Wie charismatische Menschen zu politischen Führern werden

- Birgit Gutzer –

In Zeiten des Terrors lassen wir uns von Charismatikern leichter überzeugen als in Friedenszeiten.

Der rasante Aufstieg des rechts­populistischen Politikers Pim Fortuyn begann in den Niederlanden nach dem 11. September 2001. Er erregte international durch seine scharfen Attacken gegen Ausländer, insbesondere Muslime, Aufsehen. Dennoch fand er schnell eine große Anhängerschaft. Wie konnte das geschehen? Niederländische Forscher fanden kürzlich heraus, dass in Zeiten von Angst und Terror charismatische Redner eine große Überzeugungs­kraft besitzen. Denn Menschen sind in unsicheren Zeiten oft auf der Suche nach Visionen, welche ihnen gerade Charismatiker bieten können.

Die Psychologen Ernestine Gordijn und Diederik Stapel untersuchten in mehreren Studien, unter welchen Umständen charismatische Personen mit umstrittenen Ideen am wirksamsten die Einstellungen ihrer Zuhörer verändern können. Sie stellten fest, dass existentielle Bedrohungen – zum Beispiel Gedanken an den eigenen Tod – eine Atmosphäre schaffen, die das Bedürfnis nach Visionen hervorruft. In solchen Fällen können wir, so vermuten die Forscher, von Charismatikern überzeugt werden – auch dann, wenn ihre Meinung unserer bisherigen stark widerspricht. Einzige Voraussetzung für diese Überzeugungs­kraft ist, dass die charismatischen Redner den Zuhörern nicht auf ganzer Linie widersprechen, sondern zumindest auf manchen Gebieten eine Meinung vertreten, die mit der eigenen Einstellung übereinstimmt. Denn wenn Redner als „Gleichgesinnte“ auf manchen Gebieten anerkannt werden, sind die Zuhörer bereit über ihre umstrittenen Ideen eher hinwegzusehen.

In einer Studie der Forscher sollte beispielsweise die Hälfte der Studien­teilnehmer an den eigenen Tod denken, während die anderen über ein neutrales Thema nachdenken sollten. Danach lasen sie einen Text, in dem ein charismatisch wirkender Student dafür plädierte, die Studien­gebühren zu erhöhen, was Studenten selten befürworten. Gleichzeitig trat er auch für Stipendienerhöhungen ein, wofür er hingegen viel Zuspruch der Studierenden erhalten sollte. Dem Bedürfnis nach Visionen sollte durch einen charismatischen Sprachstil entsprochen werden. So verwendete der Redner Formulierungen wie: „Was wollen wir? Wir wollen einen Unterricht an der Universität, der mehr Bedeutung einnimmt als jetzt!“ Gordijn und Stapel vermuteten, dass die Versuchsteilnehmer, die an den eigenen Tod gedacht hatten, nach der Studie eher für eine Studien­gebührenanhebung plädieren würden als die Personen in der neutralen Bedingung.

Die Ergebnisse konnten die Hypothese bestätigen. Durch die Erfahrung einer existentiellen Bedrohung scheinen sich Leute von charismatischen Rednern leichter beeinflussen zu lassen. Als Voraussetzung muss der Redner fesselnd vortragen sowie Visionen verbreiten, die für die Menschen greifbar sind. Schließlich lassen sie sich insbesondere dann von Meinungen überzeugen, die nicht der eigenen Einstellung entsprechen, wenn auch Standpunkte angesprochen werden, die Zustimmung erzeugen.

Die Studie legt nahe, dass Menschen in Krisenzeiten das Bedürfnis nach Visionen und einfachen Lösungen haben. Dann können charismatische Politiker wie Fortuyn oder Le Pen punkten, auch wenn sie sehr umstrittene Forderungen vertreten.

Gordijn, E. H. & Stapel, D. A. (2008). When controversial leaders with charisma are effective: The influence of terror on the need for vision and impact of mixed attitudinal messages. European Journal of Social Psychology, 38, 389–411.

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