Eine Studentin mit Brille blickt freundlich in die Kamera. Text: Schlaue neue Welt? KI und Digitalisierung an der Uni Mannheim.

Zu Besuch im Archiv

Über 800 Meter laufende Akten werden im Archiv der Universität Mannheim sorgsam bewahrt, katalogisiert und zu Forschungs­zwecken aufbereitet. Doch nicht nur Schriftstücke gibt es in den Kellerräumlichkeiten zu entdecken, auch Pokale, Poster und Fotografien zeugen von vergangenen Zeiten. Eine Entdeckungs­reise in die Historie der Universität.

„Bringen Sie sich auf jeden Fall einen Pullover zum Drüberziehen mit, wenn Sie mich besuchen kommen!“ – beim Hinabsteigen in die Kellerräumlichkeiten des Unigebäudes B6, 27–29 erinnere ich mich wieder an Dr. Sandra Eichfelders Worte. Die Leiterin des Universitäts­archivs warnt alle Besuchenden grundsätzlich vor und spätestens hier unten wird einem dann auch klar, warum: Das Archiv ist gleichbleibend temperiert auf etwa 17 Grad Celsius – die empfindlichen Papiere mögen nämlich keine Temperaturschwankungen. Hinter sechs Glastüren sicher in Standregalen verwahrt, lagern die Schätze des Archivs allesamt in speziellen Boxen. „Zum einen dienen die Kartons als Licht,-Staub- und Stoßschutz für die Dokumente, zum anderen haben sie eine basische Pufferung und können dadurch dem sehr stark säurehaltigen Papier aus dem 20. Jahrhundert die Säure entnehmen und somit den Papierzerfall verlangsamen“, erklärt Eichfelder und schließt uns eine der Türen auf.

Während meine Blicke über deckenhohe Regale mit sorgfältig beschrifteten Kartons wandern, beginnt die Archivleiterin von den Anfängen des Universitäts­archivs zu erzählen. Schon 1967, nämlich zu dem Zeitpunkt als die Wirtschafts­hochschule zur Universität wurde, begann man ein eigenes Archiv aufzubauen. Die Verantwortung oblag damals dem Rektorat und wurde erst Anfang der 2000er Jahre an das Historische Institut übergeben. Zunächst wurde das Archiv auch dort von Hilfskräften betreut, 2011 aber dann professionalisiert und mit einer archivischen Fach­kraft ausgestattet. „Mit viel Glück und Energie bin ich hier reingerutscht“, denkt Eichfelder gerne an diese Zeit zurück. Während ihres Zweitstudiums in Geschichte arbeitete sie zunächst als Hilfs­wissenschaft­lerin im Archiv, als dann die 2014 die Stelle frei wurde, sei sie einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Beinahe zehn Jahre ist das jetzt her und die Arbeit sei ihr seitdem nie langweilig geworden.

 „Manchmal bekomme ich einen ganz unvorhergesehenen Anruf, weil zum Beispiel ein Institut umzieht. Dann kann es sein, dass ich einen halben Tag lang in einem staubigen Keller stapelweise Kisten durchsuche – Detektivarbeit ist das und immer auch eine Wundertüte“, erklärt Eichfelder. Echte Schätze und wertvolle historische Quellen seien auf diese Weise schon gesichert worden, fährt die 55-jährige fort und zieht zielstrebig einen Karton aus dem Regal. „Das hier zum Beispiel ist eines der am häufigsten angefragten Dokumente – ein Personalfragebogen des Psychologieprofessors Otto Selz aus dem Jahr 1933. Damals wurden alle Dozenten, die im Sommersemester 33 tätig waren, um persönliche Angaben gebeten. Vor allem ging es hier um die Konfession, die Professor Selz wahrheitsgemäß mit „israelitisch“ angegeben hat “, erklärt Eichfelder und deutet auf den verhängnisvollen handschriftlichen Eintrag: Schwarze Tinte auf dünnem, bereits vergilbtem Papier.

Begehrte Quellen wie diese wurden längst digitalisiert, dennoch sind Forschende und Studierende aller Fach­richtungen auch vor Ort im Archiv der Universität gern gesehene Gäste. „Man kann die Akten hier bei mir einsehen, man darf sie auch abfotografieren oder scannen. Ich bin für das offene Archiv – Nutzer­freundlichkeit hat für mich oberste Priorität“, betont die Leiterin. Gleichermaßen wichtig sei, dass die Abgabe ans Archiv gut funktioniere. Mittlerweile hat es sich an der Uni herumgesprochen, dass alles, was zur Aussonderung ansteht und Lehre, Forschung und das Leben an der Universität Mannheim widerspiegelt gerne von Dr. Sandra Eichfelder gesichtet wird. Sorgen, dass persönliche Angaben dann unverzüglich für die Öffentlichkeit einsehbar seien, sind unbegründet: Das Universitäts­archiv muss streng geregelte Sperrfristen einhalten – bei sachbezogenen Akten gilt eine Frist von 30 Jahren nach Schließung der Akte, bei personenbezogenen Angaben sind die Akten gesperrt bis zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person.

„Mit der Digitalisierung ist die Archivarbeit nicht weniger geworden“, schmunzelt Eichfelder und öffnet eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Hier lagert die immense Fotosammlung – über 6000 Fotos zeugen von vergangenen Unizeiten: „All diese Fotos kamen in Kartons oder Fototaschen zu mir, da konnte ich mir rasch einen Überblick verschaffen. Wenn ich heute hingegen einen Datenträger bekomme, sind da oft 135 Fotos von der gleichen Veranstaltung drauf und ich muss jedes einzelne anklicken“. Die Datenflut, sie stellt auch die Archivarin vor Herausforderungen. Das Hauptaugenmerk der Historikerin liegt bei dieser Arbeit stets auf der Zukunft: Was wird für spätere Generationen einmal von Interesse sein? „Das beste Beispiel ist die Corona-Pandemie: Hier habe ich sämtliche Rundmails und Plakate archiviert, denn das ist ein Thema, das später einmal historisch oder sozial­wissenschaft­lich aufgearbeitet werden wird“, macht sie deutlich. Auch die Nutzung eines Tools zur Webseitenarchivierung sei schon in Planung.

Gemeinsam mit Seminarteilnehmenden des Historischen Instituts und in Kooperation mit Prof. Dr. Angela Borgstedt widmet Dr. Sandra Eichfelder momentan mindestens 30 Prozent ihrer Arbeit einem ganz besonderem Herzens­projekt, das auch vom Rektorat maßgeblich unterstützt und begleitet wird: einem Gedenkbuch für alle verdrängten Studierenden und Dozierenden der NS-Zeit. Nächstes Jahr soll das Buch erscheinen und Kurzbiografien der etwa 70 betroffenen Personen enthalten. „Obwohl ich das Archiv ja schon lange betreue und mich gut darin auskenne, bin ich jetzt während dieser intensiven Recherche­tätigkeit immer wieder überrascht, auf welch vielfältige Quellen wir hier unten stoßen. Und diese machen es ja erst möglich, ein solches Kapitel der Unigeschichte breiter aufzurollen“, erzählt die Archivleiterin voller Leidenschaft. Viel zu entdecken und viel zu tun, gibt es hier unten im Universitäts­archiv – der handschriftliche Nachlass von Otto Selz etwa, ist eine Mischung aus Steno und Sütterlin und bis dato nie so recht entziffert worden. Ein wohlgemeinter Tipp an all jene, die jetzt Lust bekommen haben, dem Archiv einen Recherchebesuch abzustatten: Pullover zum Drüberziehen nicht vergessen. 

Text: Jule Leger/Dezember 2023