Internationale Studie: Radikal rechte Parteien zu kopieren hilft der Mitte nicht – im Gegenteil.

Die Inhalte rechts­radikaler Parteien zu übernehmen ist keine erfolgversprechende Taktik, um Wählerinnen und Wähler für das gemäßigte Parteienspektrum zurückzugewinnen. Darauf weist anlässlich der französischen Präsidentschafts­wahl der Mannheimer Politik­wissenschaft­ler Dr. Denis Cohen hin.

Pressemitteilung vom 21. April 2022

Druckversion (PDF)

Wer den Vormarsch rechts­radikaler oder gar rechts­extremer Parteien wie Marine Le Pens Rassemblement National, Viktor Orbáns Fidesz-Partei oder der AfD eindämmen möchte, sollte nicht die Positionen des rechten Randes übernehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie des Mannheimer Politik­wissenschaft­lers Dr. Denis Cohen und seiner Kollegen Dr. Werner Krause (Universität Wien) und Prof. Dr. Tarik Abou-Chadi (Universität Oxford). Meist trägt das Kopieren rechts­radikaler Standpunkte demnach eher zur Legitimierung und damit zum Erfolg des rechten Randes bei.

„Als Reaktion auf die anhaltenden Wahlerfolge rechts­radikaler Parteien wurde und wird immer wieder gefordert, man müsse deren Themen aufgreifen und ihre Standpunkte übernehmen, um so den Sorgen der Menschen zu begegnen. Das, so der Wunsch, würde gemäßigte Parteien wieder attraktiver machen und den Rechts­radikalen den Wind aus den Segeln nehmen. Wir haben empirisch untersucht, ob diese Strategie aufgeht“, erklärt Denis Cohen vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim.

Daten aus zwölf Ländern und 50 Jahren

Zu diesem Zweck haben die Wissenschaft­ler eine Fülle von Wahl- und Umfragedaten aus zwölf westeuropäischen Ländern bis zurück in die 1970er Jahre gesammelt und untersucht. Auch den politischen Kontext haben die Forscher dabei berücksichtigt: Also beispielsweise, ob radikal rechte Parteien von etablierten politischen Kräften ausgegrenzt wurden und welche Rolle das Einwanderungs­thema im Wahlkampf spielte.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Übernahme migrations­kritischer Positionen seitens gemäßigter Parteien – sowohl Mitte-Links als auch Mitte-Rechts – in der Regel nicht zu einer Schwächung der radikalen Rechten führte. Ganz im Gegenteil: Der Verlust von Wählerinnen und Wählern an den rechten Rand war besonders stark bei denjenigen Parteien ausgeprägt, die am stärksten auf rechts­radikale Kernthemen setzten. Als Beispiel dafür nennen die Wissenschaft­ler den bayerischen Landtagswahlkampf von 2018. Damals stimmte die CSU nach Einschätzung des Forschungs­teams in den einwanderungs­feindlichen Wahlkampf der AfD mit ein. Die CSU fuhr letztlich mit rund 37 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950 ein, während die erstmals angetretene AfD auf immerhin gut 10 Prozent der Stimmen kam.

Frankreichs Konservative bedienen nationalistische Themen seit Jahren – und kriegen Le Pen doch nicht klein

Auch im europäischen Ausland beobachteten die Forscher, dass die politische Mitte rechte Themen ohne den gewünschten Erfolg aufgegriffen hat. In Frankreich etwa stehen Themen wie Einwanderung und nationale Identität seit Jahrzehnten ganz oben auf der Agenda der Mitte-Rechts-Parteien – in die Stichwahl um das Präsidentenamt am kommenden Sonntag aber hat es einmal mehr die Rechts­radikale Marine Le Pen geschafft.

Ausnahme: Dänemark

Der so oft zitierte dänische Fall stellt somit wohl eher eine Ausnahme dar. Zwar gewannen im Jahr 2019 die dänischen Sozialdemokraten mit einer einwanderungs­skeptischen Politik die Wahl, während die rechts­populistische „Dänische Volkspartei“ herbe Verluste einfuhr. Aber „weitaus öfter beobachten wir, dass etablierte Parteien durch die Übernahme der Positionen rechts­radikaler Parteien nur erreichen, dass alle Welt über deren Themen spricht und die Standpunkte der radikalen Rechten zunehmend normalisiert werden“, erklärt Denis Cohen.

Was also können etablierte Parteien der radikalen Rechten entgegensetzen?
Cohen dazu: „Bislang scheint der Erfolg rechts­radikaler Parteien relativ immun gegen inhaltliche Strategien etablierter Parteien. Was eine erfolgreichere Strategie wäre, lässt sich daher leider kaum sagen. Das ist vermutlich der Grund, warum wir das Nachahmungs­verhalten bei moderaten Parteien auch weiterhin beobachten – sie wissen sich wohl nicht anders zu helfen.“

Die Studie mit dem Titel “Does accommodation work? Mainstream party strategies and the success of radical right parties” ist kürzlich in der Fach­zeitschrift „Political Science Research and Methods“ erschienen und frei verfügbar (s. u.).

Weitere Informationen und Kontakt:

Werner Krause, Denis Cohen, Tarik Abou-Chadi:
Does accommodation work? Mainstream party strategies and the success of radical right parties. Political Science Research and Methods, 2022

Open Access:

https://www.cambridge.org/core/journals/political-science-research-and-methods/article/does-accommodation-work-mainstream-party-strategies-and-the-success-of-radical-right-parties/5C3476FCD26B188C7399ADD920D71770
DOI: 10.1017/psrm.2022.8

Dr. Denis Cohen
MZES-Projektleiter und Wissenschaft­ler in der Daten- und Methodeneinheit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2876
E-Mail: denis.cohenmail-uni-mannheim.de
https://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/profiles/denis-cohen

Nikolaus Hollermeier
Presse- und Öffentlichkeits­arbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2839
E-Mail: mzes-kommunikationmail-uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de