Oliver Rittmann, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES): Aufmerksamkeit während Parlamentsdebatten (Januar 2025)

Oliver Rittmann ist Lorenz-von-Stein Research Fellow am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozial­wissenschaft (MZES). In seiner Forschung benutzt er computer­gestützte Analysemethoden für Audio-, Bild-, und Videoaufnahmen um politik­wissenschaft­liche Fragen in den Bereichen politische Repräsentation, Ungleich­heit, und Kommunikation zu beantworten.

Was ist Ihr aktuelles Forschungs­thema?                                             

Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Computer- und Politik­wissenschaft­lern gehe ich der Frage nach, ob Frauen während Parlamentsdebatten weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als Männern. Hierzu analysieren wir Videoaufnahmen aus von TV-Kameras, die im Landtag Baden-Württemberg installiert sind. Die Aufnahmen dieser Kameras zeigen Abgeordnete im Plenum, während sie Parlamentsdebatten verfolgen. Wir benutzen Computer Vision Techniken, um automatisch zu erkennen, ob und wie lange Abgeordnete während der Reden ihrer Kolleg*innen aufmerksam sind. Unsere Ergebnisse zeigen, dass weiblichen Abgeordneten im Durchschnitt weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als ihren männlichen Kollegen. Dies liegt allein an den Männern im Plenum, welche die Reden von Frauen weniger aufmerksam verfolgen. Dagegen sind Frauen bei den Reden von Männern und Frauen im Durschnitt gleich aufmerksam.

Für alle, die noch nicht so tief in das Thema Data Science eingestiegen sind: Wie würden Sie einem Kind erklären, woran Sie arbeiten?

Stell dir vor, bei dir in der Schule wird den Jungs immer mehr zugehört als den Mädchen. Das wäre unfair. Die Mädchen haben sich schon darüber beschwert, aber sie können es nicht beweisen. So ähnlich ist das in Parlamenten, einem Ort an dem Politiker und Politikerinnen miteinander diskutieren und über wichtige Dinge entscheiden. Anders als in der Schule gibt es dort aber Kameras, die genau zeigen, ob jemandem zugehört wird oder nicht. In unserem Forschungs­projekt werten wir die Aufnahmen dieser Kameras mit Computern aus, um herauszufinden, ob den Frauen im Parlament weniger zugehört wird als den Männern.

Alle sprechen über Data Science – wie würden Sie die Bedeutung des Themas für sich selbst in drei Worten beschreiben?

Spannend, herausfordernd, wertvoll

Welche Berührungs­punkte mit Data Science hat Ihre Arbeit? Welche Methoden nutzen Sie bereits und welche wären zukünftig interessant für Sie?

Als empirisch-quanti­tativ arbeitender Politik­wissenschaft­ler ist Data Science ein fester Bestandteil meiner Arbeit. Die Berührungs­punkte sind dabei vielfältig und reichen von klassischer Datenanalyse bis hin zu Anwendungen von komplexen KI-Modellen zur Analyse von Videos. Für mich werden neue Data Science Methoden dann interessant, wenn sie mir dabei helfen können, sozial­wissenschaft­liche Fragen zu beantworten.

Wie hoch ist der Wert von Data Science für Ihre Arbeit? Wäre Ihre Forschung ohne Data Science überhaupt möglich?

Meine Arbeit wäre ohne Data Science vielleicht möglich, aber sie wäre nicht wieder zu erkennen. Wenn ich mich zum Beispiel mit Parlamentsdebatten auseinandersetze, dann analysiere ich tausende Reden und versuche, Muster zu erkennen. Ohne Data Science Methoden wäre das unmöglich. Stattdessen müsste ich mich auf wenige ausgewählten Reden fokussieren. Eine solche Arbeit kann ebenfalls zu interessanten und wichtigen Ergebnissen führen, aber der Er­kenntnisgewinn wäre fundamental anders.

Welche Entwicklungs­möglichkeiten sehen Sie für das Thema Data Science in Bezug auf Ihr Fach­gebiet?

Obwohl soziales Erleben maßgeblich von audiovisuellen Eindrücken geprägt ist, hat sich die Politik­wissenschaft in der Vergangenheit nur wenig mit audiovisuellen Daten beschäftigt. Dies liegt daran, dass solche Daten für zu komplex und unstrukturiert gehalten wurden, und die nötigen Analysemethoden gefehlt haben. Data Science hat das Potential, solche Methoden zur Verfügung zu stellen und audiovisuelle Daten der politik­wissenschaft­lichen Forschung zugänglich zu machen. Data Science erweitert dadurch das Feld der Fragen, die wir in der Politik­wissenschaft effektiv beantworten können. Eine sehr ähnliche Entwicklung gab es schon einmal in Bezug auf Textdaten. Auch Text galt lange als zu unstrukturiert um als Datenquelle dienen zu können. Doch dank Data Science Forschung sind quanti­tative Textanalysemethoden heute ein fester Bestandteil in der Politik­wissenschaft.

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