Olha Lukash

Olha Lukash ist Associate Professorin an der Fakultät für Wirtschaft, Unternehmertum und Betriebs­wirtschaft der Staatlichen Universität Sumy. Ihr Forschungs­schwerpunkt ist die Umweltökonomie. Sie kam im Februar 2023 mit ihrer Tochter nach Mannheim und arbeitet derzeit am Lehr­stuhl für Quantitative Ökonomie.

Ihre Heimatstadt Sumy liegt in der Nähe der russischen Grenze und war von Anfang an vom Krieg betroffen. Wie haben Sie und Ihre Familie diese Situation erlebt?

Genau, Sumy liegt im nordöstlichen Teil der Ukraine, nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Sumy ist eine schöne Stadt mit vielen Parks, Flüssen und drei Universitäten, aber wegen des Krieges ist jetzt alles anders, niemand kann sich mehr sicher fühlen. Sumy gehörte zu den ersten Städten, die von der russischen Aggression betroffen waren. Es war furchtbar. Plötzlich war da ein Gefühl der Ungewissheit, des Schreckens, der Unsicherheit. Und mein erster Gedanke war: Wie kann ich meine Tochter in Sicherheit bringen?

Wann haben Sie beschlossen, die Ukraine zu verlassen?

Uns wurde klar, dass wir Sumy erst einmal nicht verlassen konnten, weil es bereits besetzt war. Es ist schwer, sich an diese Zeit zu erinnern, denn wir haben sehr lange in einem kalten Keller gelebt, der uns als Schutz­raum diente. Ständig gab es Bombenangriffe und Artilleriebeschuss. Außerdem fehlte es an Lebens­mitteln und Medikamenten, und auch die Strom- und Wasserversorgung war unterbrochen. Wir hatten keine Heizung, kein Essen und an manchen Tagen keine Mobilfunkverbindung, sodass wir nicht einmal unsere Verwandten anrufen konnten, um ihnen zu sagen, wie es uns ging.

Wann konnten Sie Sumy verlassen?

Wir haben jeden Tag überlegt, wie wir uns an einen sichereren Ort retten könnten. Aber wir wussten, dass es gefährlich war. Einige Familien wagten die Flucht, aber so viele Familien starben bei diesem Versuch. Als wir aus Sumy endlich herauskamen, fuhren wir an vielen Autos vorbei, die verbrannt waren. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für schreckliche Dinge wir auf der Straße gesehen haben, Autos mit Einschusslöchern. Auf vielen von ihnen waren Aufkleber mit den Namen der Kinder. Wir verließen die Stadt Mitte März 2022, als die grünen Korridore bereitgestellt wurden, und gingen für einen Monat nach Poltawa. Doch als die russische Armee das Handels­zentrum in Krementschuk in der Region Poltawa angriff, wurde uns klar, dass es nirgendwo in der Ukraine sicher war. Im Mai kehrten wir nach Sumy zurück und begannen, nach Möglichkeiten zu suchen, das Land zu verlassen und einen Ort zu finden, an dem ich arbeiten und etwas Unterstützung bekommen konnte.

Warum haben Sie sich entschieden, nach Deutschland zu kommen?

Ich war schon viele Male in Deutschland, hauptsächlich für Konferenzen, Seminare und Summer Schools. Ich mag Deutschland sehr, die Menschen, die Traditionen, und es war mein Traum, eines Tages hierhin zu kommen. Als ich also die Ausschreibung der Stiftung der Universität Mannheim für Forschende sah, die vom Ukrainekrieg betroffen sind, bewarb ich mich um ein Stipendium und war begeistert, als ich eine positive Rückmeldung erhielt. Es ist eine großartige Chance für mich und ein glücklicher Zufall, dass ich mit Professor Ulrich Wagner von der Fakultät für Wirtschafts­wissenschaften zusammenarbeiten kann. Seine Forschung liegt sehr nah an meinem Interessengebiet.

Wie war Ihr Start in Deutschland?

Ich habe viel Unterstützung von der Stiftung der Universität Mannheim erhalten sowie von Katharina Bolle, die Forschende hier an der Universität unterstützt. Ich habe jedoch erhebliche Unterschiede zwischen der Ukraine und Deutschland festgestellt, vor allem in Bezug auf die Bürokratie. Wenn man in der Ukraine ein Bankkonto eröffnen und eine Karte erhalten möchte, ist das in 30 Minuten erledigt. Hier musste ich einen Termin vereinbaren und jeweils eine Woche lang warten, bis ich Briefe, Karten und Geheimzahlen erhielt.

Können Sie uns etwas über Ihr Forschungs­gebiet erzählen?

In meiner Doktorarbeit untersuchte ich Umweltaspekte grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Jetzt habe ich meinen Schwerpunkt jedoch auf Verfahren zur Reduzierung von Kohlendioxidemissionen in der Ukraine verlagert. Mein Ziel ist es, praktische und theoretische Einschätzungen darüber zu entwickeln, wie sich diese Dekarbonisierungs­prozesse auf den Klimawandel, die wirtschaft­liche Entwicklung, die regionale Nachhaltigkeit und andere damit verbundene Faktoren auswirken. Die Ergebnisse dieser Forschung könnten von Politikern, Unternehmen und Haushalten umgesetzt werden, um den Übergang zu sauberer Energie unter Berücksichtigung wirtschaft­licher, sozialer und ökologischer Aspekte zu gestalten.

Welche Maßnahmen halten Sie für besonders vielversprechend für die Dekarbonisierung in der Ukraine?

Leider hat sich die Situation in der Ukraine durch den anhaltenden Krieg stark verändert. Vor dem Krieg hatte die ukrainische Regierung einen Fahrplan für die CO2-Reduktion in Übereinstimmung mit internationalen Vereinbarungen und zur Abschwächung der Aus­wirkungen des Klimawandels entwickelt. Aufgrund des Krieges hat sich der Schwerpunkt jedoch deutlich verschoben. Ein großer Teil der Infrastruktur des Landes ist zerstört, Häuser wurden bombardiert und wichtige Versorgungs­systeme müssen wiederhergestellt werden, was bedeutet, dass wir das Land wieder aufbauen müssen. Diese Bemühungen verursachen unweigerlich zusätzliche Emissionen, weshalb wir unseren Fahrplan für saubere Energie anpassen müssen.

Glauben Sie, dass die derzeitigen Maßnahmen ausreichen, um die Klimakrise zu bewältigen?

Es ist ein komplexes Thema, da es oft einen Konflikt zwischen wirtschaft­lichen und ökologischen Interessen gibt. Viele Unternehmen sträuben sich, diese Probleme zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, um etwas zu ändern. In der Ukraine stehen wir aufgrund der alten Kohleanlagen und der Notwendigkeit, die Beschäftigung von Bergbauarbeitern beim Übergang zu sauberer Energie zu berücksichtigen, vor Herausforderungen. Dies stellt uns vor wirtschaft­liche Schwierigkeiten, aber ähnliche Probleme gibt es auch in anderen Ländern, wie etwa in Polen. Wir müssen regulatorische Maßnahmen entwickeln, um den Unternehmen Anreize für diesen Wandel zu bieten.

Wie wirkt sich der Krieg auf die Öko­systeme in der Ukraine aus?

Vor dem Krieg gab es erhebliche Anstrengungen, in Solarkraftwerke in der Ukraine zu investieren, und die Zahl der Solaranlagen ist stark angestiegen. Der Krieg hat jedoch zur Zerstörung großer Teile dieser Infrastruktur geführt. Es ist erschütternd zu sehen, wie all die Bemühungen um saubere Energie in einem Augenblick zunichte gemacht werden. Und auch die Natur leidet dar­unter: Ich habe eine Studie über die zerstörerischen Aus­wirkungen auf die Öko­systeme gelesen, und ich wollte einfach nur weinen. Es gibt zum Beispiel Berichte über Delfine, die durch Minen im Schwarzen Meer getötet wurden. Der Krieg hat nicht nur die Infrastruktur und Menschenleben zerstört, sondern auch die ökologische Umwelt schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Das ist eine schreckliche Nachricht. Kann man etwas dagegen tun?

Frieden ist die einzige Lösung. Ich hoffe, dass sich die Lage bald bessert und dass Frieden einkehrt, aber ich weiß nicht, wie wir das erreichen werden. So viele Menschen haben ihre Freunde, Familien und Häuser verloren. Ich möchte nur, dass wir unser normales Leben fortführen können und nicht mit Problemen konfrontiert werden, die durch den Krieg verursacht werden. Ich möchte aber auch der Universität Mannheim und der Stiftung meinen Dank aussprechen, dass sie mir und meiner Familie die Möglichkeit gegeben haben, hierher zu ziehen. Wie man so schön sagt: Es gibt keine schlechten Dinge ohne etwas Gutes.

Text: Moritz Klenk