Ein Startpunkt zur datengestützten Qualitätsentwicklung
Am Mittwoch, 17.05.2023, fand an der Universität Mannheim das Symposium „Seit über 100 Jahren in Mannheim: Lehrerbildung und Bildungsforschung im Austauschprozess zwischen Hochschule und Schulen – ein Startpunkt zur datengestützten Qualitätsentwicklung“ statt. Bei der vom Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsinnovation (ZLBI) – Bereich Lehrerbildung – organisierten Veranstaltung, zu der rund 70 Gäste eingeladen waren, tauschten sich Expertinnen und Experten aus zahlreichen Bereichen im Rahmen eines Fachgesprächs zum Thema „datengestützte Qualitätsentwicklung“ aus.
Durch die Gäste – Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und des Ministeriums für Bildung Rheinland-Pfalz, der Landesrektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen, des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg (ZSL) und des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW), der Staatlichen Seminare für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte, der Hochschulen, der Schulen, der Stadt Mannheim, der Lehramtsstudierenden, der Schülerinnen und Schüler, der Metropolregion und viele mehr – wie auch durch die Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bereich der Lehrerbildung an der Universität Mannheim – des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsinnovation (ZLBI), der Professur für Bildungspsychologie (Prof. Dr. Stefan Münzer), der Juniorprofessur für Unterrichtsqualität in heterogenen Kontexten (Prof. Dr. Karina Karst), des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie (Prof. Dr. Oliver Dickhäuser) sowie des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen – (Prof. Dr. Jürgen Seifried) – war bei der Fachveranstaltung eine beeindruckende Vielfalt an Perspektiven repräsentiert.
Im Anschluss an das einleitende Grußwort der Prorektorin für Studium und Lehre, Prof. Dr. Annette Kehnel, skizzierte Alfred Storch, der als ehemaliger Lehrer und als Schulpsychologe am Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz viele Jahren mit Themen der Lehreraus- und -fortbildung wie auch der Schulentwicklung befasst war, im Rahmen seines Vortrags „Schulreform praxisorientiert und wissenschaftsbasiert – ein stadtgeschichtlicher Rückblick“ wie es zur Gründung des Instituts für Psychologie und Pädagogik im Jahre 1918 an der Handelshochschule kam und die in den Folgejahren geleistete Forschung sowie datengestützte Zusammenarbeit mit der Mannheimer Schulreform exemplarisch darstellen.
Ergänzende Informationen
zum Vortrag von Alfred Storch finden Sie weiter unten auf dieser Seite!
Prof. Karina Karst, Inhaberin der Juniorprofessur für Unterrichtsqualität in heterogenen Kontexten, stellte bei ihrem Vortrag „Datengestützte Qualitätsentwicklung an Schulen – was wir von Gestern und Heute für Morgen lernen können!“ die aktuelle Situation der ko-konstruktiven datengestützten Qualitätsentwicklung an baden-württembergischen Schulen dar und deckte dabei erstaunliche Anknüpfungspunkte zur Zeit um 1920 auf. Nach einer Betrachtung der Fragen, was Daten sind und welche Aspekte die besondere Relevanz und die Aktualität datengestützter Qualitätsentwicklung ausmachen, stellte Frau Prof. Dr. Karst Forschungsergebnisse aus dem Bereich SchuMaS (Schule macht stark) vor und ging darauf ein, wie das Thema „datengestützte Qualitätsentwicklung“ an der Universität Mannheim aufgegriffen wird. Abschließend erfolgte eine Rückbildung zur Zeit vor 100 Jahren und eine Darstellung der „lessons learnt“.
Im Rahmen der nachfolgenden interaktiven Phase, in der sich in mehreren Themengruppen ein engagierter Dialog und eine ertragreiche Diskussion entwickelten, hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachgesprächs die Möglichkeit, ihre Perspektiven austauschen und die Perspektiven weiterer vertretener Akteursgruppen kennen zu lernen. Zentrale Ziele des Austausches bestanden in der Entwicklung gemeinsamer Visionen und zukunftsorientierter Strategien zur Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung sowie der Schulen wie auch in der weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit aller vertretenen Akteursgruppen. Die Ergebnisse der interaktiven Phase wurden abschließend im Plenum besprochen.
Die Rückmeldungen von Seiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen, dass das Symposium als großer Erfolg wahrgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund soll das Symposium als Auftakt für eine weitere Intensivierung des Austausches und der Zusammenarbeit mit allen Akteursgruppen dienen.
Die musikalische Umrahmung der Veranstaltung wurde von Stefan Münzer (Klavier) und Manfred Hofer (Cello) gestaltet. Georg Matthias Schneider führte als Moderator durch die Veranstaltung.
19.05.2023
Dr. Georg Matthias Schneider, OStR. Geschäftsführer des ZLBI. matthias.schneider@uni-mannheim.de
Warum die Schulreformbewegung ein „Institut für Psychologie und Pädagogik“ an der Handelshochschule Mannheim initiierte
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begegnete der Mannheimer Stadtschulrat Anton Sickinger mit einer durchgreifenden Schulstrukturreform der über Jahrzehnte hingenommenen prekären Praxis der erweiterten Einheitsschule, die Schuljahr für Schuljahr drei Viertel ihrer höchst heterogen zusammengesetzten Schülerschaft ohne Schulabschluss entließ. Die neue Schulorganisation sollte durch begabungsdifferenzierte Unterrichtsgänge mit entsprechend angepassten Lehrplänen nach Sickinger „jedem Kind, dem schwachen wie dem starken“ eine seiner „Eigenart gemässe Entwickelung und Förderung ermöglichen“.
Da die Wirkkraft der auf mehr individuelle Lernförderung angelegten Schulstruktur entscheidend von der pädagogisch-psychologischen Diagnose-, Beurteilungs- und Unterrichtskompetenz der Lehrkräfte abhing, artikulierte die reformorientierte Volksschullehrerschaft ihren Aus- und Fortbildungsbedarf in einem entsprechenden Antrag an den Oberbürgermeister und das Rektorat der Handelshochschule. Sie wünschte durch ein zu gründendes Institut an der Handelshochschule begleitet zu werden, um „pädagogischen Rückhalt“ in der innovativen Schulpraxis zu erfahren. Dieser Impuls löste ein mehrjähriges Zusammenwirken von Bildungspolitikern, Schulpraktikern, Hochschullehrern und Wirtschaftsunternehmen aus, so dass im letzten Kriegsjahr 1918 das empirisch ausgerichtete „Institut für Psychologie und Pädagogik“ durch Beschlüsse des Stadtrats und des Bürgerausschusses an der Handelshochschule – der Vorläuferinstitution der heutigen Universität – genehmigt wurde.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 wurde die Handelshochschule geschlossen sowie der Mannheimer Schulreform und dem „Institut für Psychologie und Pädagogik“ ein jähes Ende gesetzt.
Alfred Storch
Wie das „Institut für Psychologie und Pädagogik“ wissenschaftsbasiert die Schul- und Unterrichtsentwicklung unterstützte
Unter Leitung von Professor Wilhelm Peters wurden am Institut standardisierte Testverfahren konzipiert, die primär auf die Erfassung von Denkfähigkeiten und Begabungspotenzialen gerichtet, zugleich Bezüge zu unterrichtlichen Anforderungen aufwiesen. Die Ergebnisse der in allen Volksschulklassen durchgeführten Testreihen, nutzten die Lehrerkonferenzen zur passgenaueren Schülerzuweisung in die differenzierten Niveauklassen und die dortige unterrichtliche Förderung. Diese testdiagnostische Absicherung der von Stadtschulrat Sickinger eingeführten Schulstrukturreform trug zur gravierenden Steigerung der Schulabschlussquote bei und ermöglichte zudem eine fundierte Schullaufbahnprognose und -empfehlung durch die Grundschullehrerschaft beim Übergang in die höheren Schulen.
Die Anwendung der Begabungstestreihen beschränkte sich nicht nur auf ihren diagnostischen Nutzen. Studierende des Handelslehramts setzten unter Leitung von Professor Otto Selz ausgewählte Begabungstests im Unterricht zur Übung der Denkfähigkeit ein. Nach dem Prinzip „Schüler helfen Schüler“ vermittelten leistungsstarke Schüler unter Anleitung der Lehrkraft zielführenden Lösungswege an die Klasse, insbesondere auch an leistungsschwächere Mitschüler.
Unter den kontrollierten Bedingungen eines elaborierten Untersuchungsdesigns konnte der Nachweis erbracht werden, dass didaktische Maßnahmen, die problemlösendes Denken fördern, eine „allgemeine Hebung des Intelligenzniveaus“ bewirken. Somit war für Selz die damals vorherrschende Meinung widerlegt, „…echte Intelligenzleistungen seien dadurch ausgezeichnet, dass man sie nicht lernen könne…“.
Alfred Storch