Eigentlich hatte ich nie fest geplant, im Ausland zu studieren. Erst kurz vor dem Abitur habe ich mir überlegt, in Deutschland zu studieren, wozu habe ich denn sonst seit der Grundschule Deutsch gelernt. Als ich dann nach Wirtschaftsunis in Deutschland suchte, stieß ich natürlich gleich auf Mannheim. Ich habe die guten Rankings gesehen und mich schließlich beworben.
Ja, ich hatte große Angst. Der Studienanfang ist für jeden ein ganz neuer Lebensabschnitt. Für den Bachelor dann noch in ein anderes Land zu ziehen, ist noch aufregender. Ich hatte Bedenken, dass es mir nicht gefallen könnte. Deshalb habe ich mich auch in Ungarn für ein Wirtschaftsstudium beworben, um notfalls nach einem Jahr zurückgehen zu können. Aber zum Glück hat alles gepasst. Schon in der Erstsemesterwoche habe ich Anschluss gefunden. Es war einfach, Kontakte zu knüpfen. Schließlich haben alle neue Freund*innen gesucht, egal ob man bereits in Deutschland gelebt hat oder nicht. Dementsprechend waren alle wahnsinnig offen und freundlich, was mich erstaunt hat, denn in Ungarn gibt es das Vorurteil, dass die Deutschen sehr verschlossen sind. Mittlerweile habe ich richtig gute Freund*innen in Mannheim, ohne die meine Studienzeit nur halb so schön wäre.
Mir gefällt mein Studium richtig gut. Sonst würde ich es auch nicht machen, schließlich muss man in ein Studium sehr viel Zeit investieren. Nur das viele Auswendiglernen und die Kurse in B1, also ab 8:30 Uhr morgens, stören mich manchmal. Das ist mir einfach zu früh, ich bin kein Frühaufsteher. Von der großen Kursauswahl hingegen bin ich begeistert. Wir können aus allen Bereichen der BWL Kurse belegen und so herausfinden, was uns wirklich liegt. In Ungarn ist das ganz anders. Meine ungarischen Freund*innen müssen sehr viele Pflichtveranstaltungen belegen und sich für Prüfungen erst qualifizieren, während ich mich für Prüfungen einfach über das Portal anmelde. Ich bin sehr froh, in Deutschland zu studieren. Ich kann meinen Tag frei gestalten, einzelne Veranstaltungen in B1 werde ich wohl überleben.
Anfangs war es die Sprache und vor allem das Fachvokabular. In meiner allerersten Vorlesung, das war Rechnungswesen montagmorgens in B1, habe ich erst mal kein Wort verstanden. Da habe ich kurz gedacht, das Studium in Mannheim wäre eine Fehlentscheidung gewesen. Ich habe mich etwas überfordert gefühlt. Nach zwei Jahren in Deutschland ist das aber kein Problem mehr. Mittlerweile fällt es mir sogar eher schwer, plötzlich wieder Ungarisch zu sprechen, wenn ich meine Eltern besuche. Letztens bin ich morgens aufgestanden und habe aus Versehen Deutsch mit ihnen gesprochen. Jetzt telefoniere ich öfter mit ihnen, dass das nicht noch mal passiert.
Kulturell gesehen sind die Menschen in Ungarn oft negativ gestimmt und beschweren sich gerne erst mal über ihre Probleme, bevor sie sich über andere Dinge unterhalten. Diese Einstellung passt nicht zu mir, ich bin sehr positiv gestimmt und möchte mich dann nicht runterziehen lassen. Natürlich gibt es aber auch Ausnahmen in Ungarn. Politisch und wirtschaftlich gesehen ist die Situation in Ungarn vergleichsweise problematisch. Es gibt viel Korruption, die gerne verschleiert wird. Statt Wind- und Solaranlagen werden Atomkraftwerke gebaut. Viele junge Leute verlassen momentan das Land. Ich hoffe jedoch, dass es sich irgendwann wieder bessert und man zurückgehen kann.
Planung ist wirklich nicht meine Stärke. Ich mache erst mal mein Bachelorstudium fertig und dann schaue ich, was sich ergibt. Obwohl Mannheim meine zweite Heimat geworden ist, möchte ich gerne noch mehr von der Welt sehen, vielleicht gehe ich für das Masterstudium in die USA.
Text: Sina Buschhold / Februar 2017