Der Grund, warum ich schließlich nach Deutschland gekommen bin, ist der Ansatz, wie hier im Bereich VWL geforscht wird. In China ist VWL-Forschung eher qualitativ. Sie basiert auf Beobachtungen und Vorstellungen über die Gesellschaft. Hier, oder generell in den westlichen Wirtschaftssystemen, ist die Forschung hauptsächlich quantitativ. Quantitative Forschende sind für mich fast wie Zaubernde. Sie transferieren die reale Welt in eine Welt voller Zahlen, Gleichungen und Modelle. In dieser abstrakten mathematischen Welt haben meine Professor*innen für mich Superkräfte. Manche Leute glauben nicht an ihre Forschungsergebnisse, aber ich bin der Meinung, dass man erstmal abstrahieren muss, bevor man Schlussfolgerungen ziehen kann. Warum Mannheim? Ich hatte mehrere Optionen, aber die Universität Mannheim ist eine der besten. Im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten, wie zum Beispiel Köln oder Berlin, ist Mannheim viel internationaler, besonders hinsichtlich der Studien- und Forschungsinhalte.
Im Masterstudiengang gibt es zwei unterschiedliche Tracks. Der reguläre befasst sich eher mit angewandter VWL. Ich habe mich für den zweiten Track entschieden, der eher forschungsorientiert ist und zur Promotion führt. Anfang September haben wir mit etwa 20 Studierenden in meinem Bereich angefangen. Aber mittlerweile hat fast die Hälfte aufgegeben, auch manche Doktorand*innen. Jetzt sind wir drei Studierende im Master und neun Doktorand*innen. Wir können uns auch jederzeit entscheiden in den regulären Masterstudiengang zu wechseln, wenn wir das Gefühl haben, dass wir es nicht schaffen. Diese Flexibilität ist einer der Gründe, warum ich mich für diesen Studiengang entschieden habe. Insgesamt sind wir etwa 50 Studierende im gesamten Masterstudiengang. Diese Struktur gefällt mir sehr gut, denn für mich hat der Lernerfolg maßgeblich mit der Kursgröße zu tun. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu anderen Unis. Im ersten Jahr haben wir pro Semester sechs Grundlagenkurse, die sich mit allen Aspekten der VWL beschäftigen. Es ist anfangs sehr theoretisch und beinhaltet viel Mathe. Nach dem ersten Jahr wählen wir unseren Forschungsschwerpunkt. Ich möchte mich auf Angewandte Mikroökomomie spezialisieren. Dabei beschäftigt man sich zum Beispiel mit Auctions und Game Theory. Dieser Bereich ist eine Brücke zwischen Theorie und Praxis.
Bis jetzt hatte ich vier Kurse. Zwei der Dozierenden kamen aus dem Ausland, einer aus Korea, der andere aus Italien. Von den Tutor*innen sind drei international. Das beeinflusst die Forschungsorientierung sehr stark. Alle an der Fakultät sind außerdem sehr hilfsbereit, beispielsweise wenn es Probleme mit der Sprache gibt. Jobangebote werden in der Regel immer auf Englisch veröffentlicht und das Sekretariat übersetzt auch alle wichtigen Informationen. Das ist nicht überall so üblich. Ich würde sagen, dass die internationalen Studierenden hier fast genauso behandelt werden wie die einheimischen. Deshalb zeigt sich auch bei der Zusammensetzung der Studierendenschaft die Internationalität der Fakultät.
Ich kenne viele, aber aufgrund der großen Anzahl sicherlich nicht alle. Mit manchen chinesischen Freund*innen treffe ich mich regelmäßig. Auch in meinem Haus wohnen zwei oder drei andere Studierende aus China. Aber die meisten von ihnen studieren im Mannheim Master in Management. In meiner Fakultät ist nur noch ein anderer aus China. Die anderen Studierenden, die ich kenne, sind hauptsächlich Vollzeitstudierende, aber ich schätze 80 Prozent studieren BWL.
Der Druck ist schon hoch, aber wenn du das tust, was du wirklich magst, was du wirklich liebst, fällt es dir leichter. Jede Woche und für jeden Kurs bekommen wir eine Hausaufgabe, deren Bearbeitung etwa zehn Stunden dauert. Das bedeutet, dass wir jede Woche nach den Vorlesungen, Tutorien und Wiederholung der Vorlesung noch 40 Stunden Arbeit vor uns haben. Aber ich weiß, dass an den top Universitäten in den USA die Situation die gleiche ist. Wir vergleichen uns nicht mit den besten 100, sondern mit den besten 50 oder sogar 25. Nach dem ersten Jahr wird es besser und wir werden mehr Zeit haben, über unsere zukünftigen Projekte nachzudenken. Trotz alledem arbeiten wir innerhalb unseres Studiengangs eng zusammen. Ich genieße diese Atmosphäre wirklich sehr. In China sind Studierende sehr ehrgeizig und die ganze Gesellschaft steht im Wettstreit. Innerhalb unserer Gruppe macht es keinen Unterschied, wie gut du bist oder wie gut deine Kommilitonen sind. Nur wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir die hohen Anforderungen erfüllen. Lehrinhalte können mittlerweile nicht mehr in Lehrbüchen oder via google recherchiert werden. Die Lehrinhalte beruhen gänzlich auf dem menschlichen Verstand. Jeder in unserem Studiengang hat sehr gute Fähigkeiten und wir inspirieren uns alle gegenseitig. Das ist einer der Gründe für meine Studienbegeisterung .
Zehn Jahre hier zu bleiben ist vielleicht ein bisschen lang. Aber nach dem ersten Semester muss ich sagen, dass die Qualität außerordentlich hoch ist. In den USA, wo ich für ein Semester studiert habe, ist das System zum Beispiel ganz anders. Dort fängt man bei den Grundlagen an und gibt jedem Student die Möglichkeit, sich einzugewöhnen. Innerhalb dieses Rahmens zeigen manche Studierenden sehr hohe Leistungen und andere nicht so hohe. Hier in Deutschland muss jeder ein bestimmtes Level erreichen. Wenn man in einem Studiengang, der so aufgebaut ist, Erfolg hat, dann hat man sehr gute Zukunftsaussichten. Ich lese sehr gerne die Lebensläufe meiner Professor*innen, um herauszufinden, wie sie so weit gekommen sind, weil ich irgendwann auch dorthin kommen möchte. Die meisten haben in Großbritannien oder den USA Erfahrungen gesammelt. Ich werde wohl meinen Studiengang hier beenden und ihrem Beispiel folgen. Aber ich denke auch, dass Chinas Zukunft sehr vielversprechend ist. Momentan sagen mir die Studieninhalte im Bereich VWL in China nicht zu, aber irgendwann brauchen sie vielleicht mein Wissen.
Ich bin ein sehr großer Sportfan und mir gefällt das Angebot des Instituts für Sport. Zum Beispiel werde ich bei einem Skiausflug nach Österreich mitfahren. Das wird eine super Erholungsmöglichkeit sein. Im Allgemeinen gibt es in Mannheim und in Deutschland viele Freizeitmöglichkeiten. Mir gefällt die Balance zwischen Arbeit und Freizeit hier sehr gut. In China gibt es das nicht. Obwohl ich diesen anspruchsvollen Studiengang absolviere, ist der generelle Lebensrhythmus hier für mich viel langsamer als er in China wäre.
Text: Lina Vollmer / November 2016