Forscherporträt: Prof. Dr. Sabine Sonnentag

Die To-do-Liste wächst minütlich, die Deadline droht oder der Kollege stänkert: Arbeit und Studium zählen zu den größten Stressfaktoren im Leben der Deutschen. Wie wirkt sich Stress im Job auf das Wohlbefinden und das Gesundheits­verhalten Berufstätiger aus? Und wie erholen sie sich am besten davon? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Psychologin Prof. Dr. Sabine Sonnentag in ihrer Forschung. Seit 2010 ist die gebürtige Münchnerin Inhaberin des Lehr­stuhls für Arbeits- und Organisations­psychologie an der Universität Mannheim.

Es ist fast 17 Uhr an einem Montagnachmittag. Der Besprechungs­raum von Prof. Dr. Sabine Sonnentag liegt im zweiten Stock des Ehrenhofs Ost. Draußen ist es bereits dunkel, durch die geschlossenen Fenster hört man gedämpft die Straßenbahn klingeln. Nach einem typischen Wochentag bringt sie Studierende und Berufstätige von der Vorlesung oder der Arbeit nach Hause. Doch für viele ist der Arbeits­tag damit noch nicht zu Ende – zumindest im Kopf, das weiß Sabine Sonnentag.

Seit 2010 ist Prof. Dr. Sabine Sonnentag Professorin für Arbeits- und Organisations­psychologie an der Universität Mannheim. In ihrer Forschung untersucht sie, wie sich der tägliche Stress im Beruf auf das Wohlbefinden und das Gesundheits­verhalten von Menschen auswirkt – und wie sie sich am besten davon erholen. In Querschnitts- und Längsschnitt­studien sammelt sie dafür unter anderem mithilfe von Smartphone-Apps und Fragebögen, die die Studien­teilnehmer mehrmals täglich ausfüllen, Unmengen von Daten. „Um sich richtig zu erholen, ist es besonders wichtig, sich von negativen Erlebnissen bei der Arbeit zu distanzieren. Das ist die Quintessenz dessen, was wir in unserer Forschung herausgefunden haben“, erklärt Sonnentag. „Es kann zwar helfen, nach der Arbeit noch einmal gezielt über ein Problem nachzudenken, um eine Lösung zu finden. Ewiges Grübeln sollte man aber vermeiden.“

Genau das falle vielen Menschen aber schwer – vor allem solchen, die sich stark mit ihrem Job identifizieren. Um sich trotzdem von einem harten Arbeits­tag abzulenken, sei es essentiell, sich auch in der Freizeit kognitiv zu fordern. „Aktivitäten, die die Gedanken von der Arbeit fernhalten, sind dafür besonders geeignet. Das können für jeden Menschen andere Dinge sein – zum Beispiel ein Sport oder ein Hobby, in dem man völlig aufgeht“, so Sonnentag. Sie selbst ziehe es nach draußen in die Natur, zum Radfahren oder Wandern. „Ich könnte jetzt sagen: Ich mache das, weil die Forschung gezeigt hat, dass Natur gut für die Erholung ist“, sagt Sonnentag. „Aber ich glaube, ich brauche das einfach als Ausgleich zum Schreibtischjob.“

In einer Gesellschaft, in der ein stressiger Job fast schon zum Statussymbol geworden ist und sich in den Unternehmen Krankheitstage in Folge von Burnout häufen, sind Sonnentags Forschungs­ergebnisse bedeutsam, ihr Know-how gefragt: Bereits 2011 wurde die Psychologin in die renommierte Wissenschafts­akademie Leopoldina aufgenommen, die öffentlich zu gesellschaft­lichen und politischen Themen Stellung bezieht. Vor kurzem wählte sie die Association for Psychological Science zudem zu einer ihrer Fellows. Doch auch mit Unternehmen oder der breiten Bevölkerung teilt Sonnentag ihr Wissen – etwa indem sie öffentliche Vorträge hält oder als Expertin in überregionalen Zeitungen Rede und Antwort steht.

Wann immer Sabine Sonnentag von ihrer Forschung erzählt, spricht sie deutlich schneller, ihre Augen lächeln. Sie ist fasziniert von ihrem Thema, das merkt man ihr an. Dabei hätte sie noch als Studien­anfängerin nicht gedacht, dass sich die Arbeits­psychologie einmal zu ihrem Schwerpunkt entwickeln würde. Zu abstrakt und naiv sei damals ihre Vorstellung vom Psychologiestudium gewesen. Ein Schlüsselerlebnis hatte die angehende Psychologin allerdings bereits in ihrer Orientierungs­woche an der Freien Universität Berlin: „Ich habe einen Vortrag eines renommierten Psychologieprofessors gehört, dessen Team ein großes Projekt zur Psychologie am Arbeits­platz durchgeführt hat. Dass man so etwas überhaupt untersuchen kann, hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Seitdem hat mich die Frage, was Arbeit für Menschen bedeutet und wie sie sie positiv und auch negativ beeinflusst, nicht mehr losgelassen“, sagt sie.

Nach ihrem Studium war Sonnentag auf Wanderschaft, forschte an mehreren nationalen und internationalen Stationen – in Braunschweig, Gießen, Nijmegen, sowie an der Michigan State University, der Universität Amsterdam und zuletzt in Konstanz, wo sie auch Prorektorin für Forschung war. Auf ihrem Weg zur Professur habe sie aber vor allem ihre Zeit in den Niederlanden geprägt: „Die Forschungs-Community dort war schon in den 1990ern sehr international und viel publikations­orientierter, als wir es in Deutschland waren“, sagt Sonnentag. „Diese Erfahrung war ein wichtiges Puzzleteil für mich. Sie hat mir gezeigt, dass Forschung auch anders gemacht werden kann – und dass man die eigene beschauliche Welt nicht für die ganze halten darf.“

Dass sich Sonnentag letztendlich an der Universität Mannheim niedergelassen hat, sei für sie keine schwere Entscheidung gewesen. Das Gesamtpaket habe gestimmt. „Dank der vielen Unternehmen in der Region eignet sich die Umgebung sehr gut, um arbeits- und organisations­psychologische Forschung zu betreiben“, sagt Sonnentag. „Und die starke wirtschafts- und sozial­wissenschaft­liche Ausrichtung der Uni Mannheim hat zu mir als Arbeits­psychologen natürlich einfach super gepasst.“

Text: Linda Schädler / April 2018