Einmal Baikalsee und zurück
Dank zahlreicher Auslandsstipendien wird ein Semester im Ausland für Studierende an der Universität Mannheim immer selbstverständlicher. Viele von ihnen zieht es nach Westeuropa, die USA oder Kanada. Mit dem „Go East“-Stipendium ermutigen die Universität Mannheim und der DAAD Studierende dazu, entgegen dem Westwärts-Trend einmal den Sprung nach Osten zu wagen.
Mit fünf anderen Passagieren drängt sich Jonas Ronellenfitsch in einem kleinen Abteil der Transsibirischen Eisenbahn. Seit drei Tagen ist er so schon unterwegs zum Baikalsee nahe der russisch-mongolischen Grenze. Draußen – es ist ein Wintertag in Südsibirien – sind die Temperaturen auf minus 30 Grad gefallen, bei seiner Ankunft ist der See von einer dicken Eisschicht bedeckt. Für den Austauschstudenten aus Mannheim ist diese Reise eine besondere Erfahrung – nicht nur wegen der schneebedeckten Landschaft, die sich vor ihm auftut. „Wenn man mehrere Tage mit so vielen Menschen auf kleinstem Raum lebt, dann lernt man sich sehr gut kennen“, erzählt er. „Ich war beeindruckt und überrascht, wie herzlich die Russen in meinem Abteil waren. Sie haben mich und meinen Begleiter sogar jeden Abend zum Essen eingeladen.“
Vorurteile zwischen Ost und West abbauen – das ist eines der Ziele des „Go East“-Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), das Jonas Ronellenfitsch im Wintersemester 2016 einen Austausch mit der Staatlichen Universität Sankt Petersburg ermöglichte. Mit der finanziellen Förderung möchten der DAAD und die Universität Mannheim Studierende dazu ermutigen, ihr Austauschsemester nicht in den Trendregionen Nordamerika, Westeuropa oder Ostasien zu verbringen – sondern in Russland, Osteuropa und dem Kaukasus. „Deutsche Universitäten sind bei russischen und osteuropäischen Studierenden sehr beliebt, sie kommen gern für ein Semester oder länger nach Deutschland“, sagt Kathrin Blitzke vom Akademischen Auslandsamt (AAA) der Universität Mannheim. „Umgekehrt haben deutsche Studierende Russland und Osteuropa bei ihrer Wahl aber selten auf dem Schirm.“
Während seines Semesters in Sankt Petersburg hat Jonas Ronellenfitsch dieses Ungleichgewicht ebenfalls bemerkt. „Unter den Austauschstudierenden auf dem Campus waren hauptsächlich Asiaten und Westeuropäer“, sagt er. „Und die Deutschen, die mit mir dort waren, waren fast alle russischstämmig.“ Er selbst habe keine Scheu vor Osteuropa gehabt, aber auch Freunde und Bekannte hatten sich über sein Reiseziel gewundert. „Viele haben mich gefragt, was ich denn in Russland will“, erzählt Jonas Ronellenfitsch. „Aber ich fand das Land schon immer spannend, weil es sich kulturell so stark von Westeuropa unterscheidet. Und das Stipendium war natürlich auch ein schöner Bonus.“
Seine Entscheidung hat Jonas Ronellenfitsch nicht bereut. Trotz der politischen Spannungen der vergangenen Jahre sei er als Deutscher immer sehr freundlich behandelt worden. Und auch fachlich und kulturell habe er aus dieser Zeit viel mitgenommen: „Das Studium in Russland ist viel interaktiver, mit regelmäßigen Tests während des Semesters. Es war anstrengend, aber ich habe auch viel dadurch gelernt“, sagt der ehemalige Student des Mannheim Master in Management, der seit seinem Abschluss 2017 bei McKinsey und Company arbeitet. Seine neuen kulturellen Kompetenzen zu Russland habe er in seinem Job zwar noch nicht gebraucht, „aber persönlich fand ich es trotzdem bereichernd, die Perspektive der Russen kennen zu lernen – und natürlich auch ihre Gastfreundschaft.“
Text: Linda Schädler / April 2018