Von Mannheim über Brüssel nach Berlin

Mit 18 im Bundes­vorstand der Grünen Jugend, mit 30 Abgeordnete im Europa-Parlament, mit 34 Mitglied des Deutschen Bundestags: Der Lebens­lauf der Grünen-Politikerin Dr. Franziska Brantner spricht von so viel Zielstrebigkeit und politischem Elan, dass kaum zu glauben ist, dass eine politische Karriere nicht von Anfang an ihr Plan A war. Als sich Brantner dann doch gegen die Wissenschaft und für die Politik entscheidet, ist das Fundament dafür bereits gelegt – dank ihres Studiums an der Sciences Po, der Columbia University – und der Universität Mannheim.

„En allemand ou en français?“, fragt Dr. Franziska Brantner die etwa 60 Gäste im Fuchs-Petrolub-Saal der Universität Mannheim, die sie bei dem deutschfranzösischen Bürgerforum „Wir alle sind Europa“ aus den vollen Sitzreihen anblicken. Es ist ein Donnerstagabend im November, draußen ist es bereits dunkel. Brantner ist erst wenige Minuten zuvor die Treppen zum Saal hochgehechtet, hat ihren Rollkoffer hastig in einer Ecke geparkt. Sie wirkt etwas außer Atem, doch lächelt viel, ist enthusiastisch.

Die Frage, die Brantner ins Publikum stellt, ist durchaus berechtigt. In der ersten Reihe sitzt neben dem Ersten Bürgermeister Christian Specht auch Frédéric Petit, Abgeordneter der Französischen Nationalversammlung, mit dem sie gemeinsam an diesem Abend mit Studierenden und Bürgern über die Zukunft der Europäischen Union diskutieren wird. Nach kurzem Schweigen fährt Brantner auf Deutsch fort, doch sieht sie den fragenden Blick ihres Kollegen, übersetzt sie ihre Sätze immer wieder mühelos ins Französische.

Was das Publikum beeindruckt, ist für Franziska Brantner selbstverständlich. Perfektioniert hat die Bundestags­abgeordnete ihr Französisch während ihres Studiums der Politik­wissenschaften an der Sciences Po in Paris. Doch ihre Zweisprachigkeit reicht viel weiter zurück: Geboren und aufgewachsen ist sie im Dreiländer­eck bei Freiburg, hat an einem deutschfranzösischen Gymnasium ihr Abitur gemacht. Nicht nur die Sprache, auch die interkulturellen Erfahrungen, die sie aus dieser Zeit mitgenommen hat, haben ihr Weltbild maßgeblich geprägt. „Sie haben mich zu einer überzeugten Europäerin gemacht“, sagt Brantner.

Überhaupt zieht sich das Internationale durch Brantners Vorzeige- Lebens­lauf. Nach dem Abitur geht sie direkt ins Ausland. Eine politische Karriere ist damals trotz ihres Engagements im Bundes­vorstand der Grünen Jugend noch nicht ihr Ziel. Nach einem einjährigen Auslands­aufenthalt in Washington und Tel Aviv, wo sie für die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet, entscheidet sie sich für ein Doppelstudium der Politik­wissenschaften mit Schwerpunkt Europapolitik an den Elite-Universitäten Sciences Po in Paris und der Columbia University in New York. Sie schließt als Beste ihres Jahrgangs ab. Es folgt eine Stelle als wissenschaft­liche Mitarbeiterin an der Universität Oxford.

Die Erfahrungen, die sie im Ausland gemacht hat, seien für ihre heutige Arbeit als Politikerin wertvoll. In der aktuellen Wahlperiode ist die 39-Jährige europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Zuvor war sie von 2009 bis 2013 Abgeordnete im EU-Parlament. „Will man europäisch denken, gibt es bei jedem Thema mindestens zwei Lesarten“, so Brantner. „Den Kontext der anderen Länder muss man immer mitdenken.“ Das zu tun, habe sie während dieser Zeit gelernt.

Viele Umzüge und Reisen – nicht immer ist das einfach: Als Brantner beispielsweise 2009 für das Europa-Parlament kandidiert, steht sie kurz davor, ihre Dissertation zur Reform­fähigkeit der Vereinten Nationen an der Universität Mannheim abzuschließen. „Glücklicherweise war die Arbeit schon fertig, sodass ich sie nach der Europawahl nur noch verteidigen musste.“ Anstrengend sei die Zeit trotzdem gewesen. „Hätte ich damals gewusst, dass ich in die Politik gehe, hätte ich die Doktorarbeit vermutlich nicht angefangen“, sagt sie und lacht. Als sie sich für die Promotion entscheidet, kann sich Brantner jedoch eine wissenschaft­liche Karriere gut vorstellen.

Ihren späteren Doktorvater Prof. Dr. Thomas König hatte Brantner bereits bei internationalen Konferenzen kennengelernt. „Seine Forschung hat mich tief beeindruckt“, erklärt Brantner. „Er war der Grund, warum es mich für die Promotion an die Universität Mannheim zog.“ Vor allem sei ihr die gute Zusammenarbeit am Lehr­stuhl im Gedächtnis geblieben – und ein Interview mit John Bolton, dem heutigen Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, das sie damals für ihre Dissertation führte. „Politische Tendenzen, die scheinbar mit Trump aufkamen, waren nicht neu, sondern haben sich im Rückblick schon ein Jahrzehnt zuvor abgezeichnet“, erklärt Brantner. „Ich sehe dadurch heute Kontinuität, wo andere Disruption sehen.“

Dass sich Brantner letztlich doch für die Politik entschied, habe sich entwickelt, als sie neben ihrer Promotion als Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung in Brüssel versuchte, Abgeordnete für politische Ideen zu begeistern. „Mir wurde dabei bewusst, dass ich nicht nur Politiker von Ideen überzeugen, sondern selbst die Dinge bewegen wollte“, so Brantner. Veranstaltungen wie das deutsch-französische Bürgerforum an ihrer Alma Mater, bei dem es darum geht, die Zukunft Europas mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren und weiterzuentwickeln, sind ihr deshalb ein besonderes Anliegen. „Demokratie und der europäische Gedanke sind nichts Selbstverständliches“, sagt Brantner an diesem Abend mit Nachdruck. „Wir verstehen oft erst, wenn uns etwas weggenommen wird, was wir daran hatten.“ Um das zu verhindern, müsse jeder selbst aktiv werden. Als in den Reihen ein Kopf nach dem anderen zu nicken beginnt, ist klar: Andere zu bewegen – das hat sie heute geschafft.

Text: Linda Schädler / April 2019