„Wir Frauen müssen es wirklich wollen“

Lea-Sophie Cramer ist eine der erfolgreichsten und bekanntesten Gründerinnen Deutschlands: Mit AMORELIE hat die 32-jährige BWL-Absolventin der Universität Mannheim die Erotikindustrie revolutioniert und innerhalb weniger Jahre ein Millionengeschäft aufgebaut. Gleichzeitig ist sie Mutter von zwei kleinen Kindern. Wie das geht und welche großen Pläne sie für die Zukunft ihres Unternehmens hat, erzählt sie im FORUM-Interview.

FORUM: Leider herrscht in unserer Gesellschaft immer noch die Meinung, dass man nur eines von beidem sein kann: Mutter oder Karrierefrau. Sie beweisen das Gegenteil. Wie schaffen Sie das?

Cramer: Ich musste und wollte mich nie zwischen Familie und Karriere entscheiden. Es kostet allerdings viel Kraft und wir Frauen müssen es wirklich wollen. Vereinbarkeit geht – mit viel Hilfe und einer starken Priorisierung, sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit: Ich habe fast alle Konferenzen und Interviews in diesem Jahr abgesagt. Zu Hause haben mein Partner und ich zusätzlich noch Unterstützung, zum Beispiel durch meine Eltern oder unsere Kinderfrau. Manchmal bringe ich die Kinder in die Firma mit – das war bei uns nie ein Problem. Bei AMORELIE haben wir einen Meetingraum, der für Mütter als Kinderraum umfunktioniert werden kann. Wir haben Kooperationen mit Notfall-Nannys und einem Berliner Kindergarten abgeschlossen. Meetings, bei denen alle anwesend sein müssen, finden morgens oder spätestens bis 16 Uhr statt, so dass die Eltern zur Not früher nach Hause gehen können.

FORUM: In Deutschland gründen weiterhin mehr Männer als Frauen Unternehmen. Inwiefern versuchen Sie selbst, Frauen zu dieser Entscheidung zu ermutigen?

Cramer: Wir haben viele tolle Gründerinnen in Deutschland, aber wir brauchen noch mehr weibliche Vorbilder und Investments in frauengeführte Unternehmen. Studien zufolge bringen Gründungen von Frauen im Schnitt mehr als doppelt so viel Rendite auf das investierte Geld. Trotzdem erhalten sie in manchen Ländern nur ein Prozent des gesamten Venture Fundings – wie kann das sein? Als Business Angel engagiere ich mich persönlich dafür, investiere in neue Geschäftsideen, die mich überzeugen und gebe meine Expertise und Gründungs­erfahrung weiter. Ich glaube fest daran, dass Frauen berufliche Netzwerke noch viel stärker nutzen können.

FORUM: Vor sechs Jahren haben Sie mit der Gründung von AMORELIE die deutsche Erotikindustrie aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt – weg vom eingestaubten Beate Uhse-Image hin zu modernem Design und Sinnlichkeit. Wie hat AMORELIE dazu beigetragen, dass Sexualität und Sex-Spielzeug heute längst nicht mehr als Tabu sondern als Lifestyle-Themen gelten?

Cramer: Wir sind sexuelle Wesen. Wir haben Lust an Intimität und Nähe, trotzdem waren Lovetoys immer noch ein Tabu. Ich und mein Mitgründer haben uns gefragt, wie wir selbst gern einkaufen und informiert werden wollen: in einem stilvollen Onlineshop für das Liebesleben. So ist AMORELIE entstanden und hat schnell Fahrt aufgenommen. Den Zugang zur Sexualität leichter zu machen, fühlt sich heute wie damals sehr motivierend an. Wir haben tatsächlich einen echten Einfluss auf das Liebesleben der Deutschen und auf die ganze Branche. Dass unsere Lovetoys ganz selbstverständlich online bestellt und mittlerweile auch in Drogerien und Warenhäusern zum Kauf angeboten werden, sind nur einige Beispiele für den Wandel in der Gesellschaft. Das Thema Sexualität wird viel offener diskutiert als noch vor unserer Gründung. Und vor allem die Frau ist mehr in den Mittelpunkt gerückt. Das wurde früher ziemlich unterschätzt, da Männer eher als Ziel­gruppe und Käufer gesehen wurden.

FORUM: In den Anfangsjahren gab es bei Ihnen immer montags den „Morning Dance“, bei dem von der Praktikantin bis zum CFO jeder einmal die verschiedenen Funktionen der AMORELIE-Produkte nachtanzte. Nun ist AMORELIE seit seiner Gründung auf einen Wert von 100 Millionen Euro und über 100 Mitarbeiter gewachsen, ProSiebenSat1 hält 98 Prozent an dem Unternehmen. Haben Sie die Start-up-Mentalität im Unternehmen trotzdem beibehalten?

Cramer: Heute haben wir natürlich mehr Mitarbeiter, so dass ich mehr Verantwortung fühle und übernehme. Mit AMORELIE haben wir bereits viele Geschäftsziele erreicht, haben aber noch viel vor. Wir wollen die größte Marke für das Liebesleben weltweit werden. Das heißt für mich auch weiter Start-up- Mentalität: Mut, Neugier und Vertrauen in die eigenen Ideen. Und ja, der Morning Dance findet noch jeden Montagmorgen statt!

FORUM: Sind Sie heute eine andere Chefin als noch vor sechs Jahren?

Cramer: Ich glaube, dass ich als Chefin schon immer sehr nahbar gewesen bin. Ich sitze am selben Tisch mit meinen Mitarbeitern und versuche, transparent und echt zu sein – auch wenn ich Fehler mache. Diese Augenhöhe und dieses Miteinander halte ich für sehr wichtig. Im Vergleich zu den ersten Jahren führe ich besser: Anstatt viele Aufgaben selbst zu übernehmen, delegiere ich mehr und be­fähige die Führungs­kräfte und Teams dazu, immer selbstständiger zu werden. Dieser Prozess wurde noch stärker durch die Geburt meiner Kinder eingeleitet. Es geht gar nicht mehr anders. Für die Er­kenntnis bin ich sehr dankbar. Seitdem ich Kinder habe, bin ich eine bessere Führungs­kraft.

FORUM: Denken Sie noch oft an Ihr Studium in Mannheim zurück?

Cramer: Wir waren ja der allererste Bachelor-BWL-Jahrgang an der Universität Mannheim. Das war schon eine besondere Zeit. Das Studium ist mir nicht immer leicht gefallen, aber mich haben die Mit­studierenden, die Inhalte und Professoren sehr inspiriert. Ich denke unglaublich gern an meine Zeit im Schloss und in den Quadraten zurück. Bei einem Besuch im EO Café oder in den Bibliotheken werde ich ganz wehmütig, auch wenn ich sie in den intensiven Lern­phasen nicht mehr sehen konnte. Bei meinem Besuch beim „Q-Summit“, dem alljährlichen Gründergipfel an der Uni Mannheim, habe ich erst mal im Tiffany’s mit ein paar Ex-Kommilitonen die Nacht zum Tag gemacht.

FORUM: Dachten Sie zu Ihrer Studien­zeit bereits ans Gründen?

Cramer: Wir waren damals alle auf die Beratungs­firmen, die großen regionalen Konzerne und Investmentbanken gepolt und Unternehmertum war noch gar kein mögliches Tätigkeits­feld – geschweige denn, in ein Start-up zu gehen. Genau das habe ich aber gemacht und bin dafür nach Berlin gezogen. Ich habe bei Rocket Internet gearbeitet und später das Asien-Geschäft für die Gutscheinplattform Groupon mitaufgebaut. Als ich die Idee für AMORELIE hatte, hat mir anfangs niemand geglaubt, dass ich dieses Unternehmen wirklich gründen würde. Ich kam ja überhaupt nicht aus der Branche. Meine Mutter hat mir gesagt: „Mach es nur, wenn du damit gesellschaft­lich etwas bewegen willst – nicht nur, um Geld zu verdienen.“ Und so war es dann auch. Niemals hätte ich gedacht, dass diese Entscheidung mich heute hierher bringen würde.

Interview: Nadine Diehl / April 2019