FORUM: In Deutschland gründen weiterhin mehr Männer als Frauen Unternehmen. Inwiefern versuchen Sie selbst, Frauen zu dieser Entscheidung zu ermutigen?
Cramer: Wir haben viele tolle Gründerinnen in Deutschland, aber wir brauchen noch mehr weibliche Vorbilder und Investments in frauengeführte Unternehmen. Studien zufolge bringen Gründungen von Frauen im Schnitt mehr als doppelt so viel Rendite auf das investierte Geld. Trotzdem erhalten sie in manchen Ländern nur ein Prozent des gesamten Venture Fundings – wie kann das sein? Als Business Angel engagiere ich mich persönlich dafür, investiere in neue Geschäftsideen, die mich überzeugen und gebe meine Expertise und Gründungserfahrung weiter. Ich glaube fest daran, dass Frauen berufliche Netzwerke noch viel stärker nutzen können.
FORUM: Vor sechs Jahren haben Sie mit der Gründung von AMORELIE die deutsche Erotikindustrie aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt – weg vom eingestaubten Beate Uhse-Image hin zu modernem Design und Sinnlichkeit. Wie hat AMORELIE dazu beigetragen, dass Sexualität und Sex-Spielzeug heute längst nicht mehr als Tabu sondern als Lifestyle-Themen gelten?
Cramer: Wir sind sexuelle Wesen. Wir haben Lust an Intimität und Nähe, trotzdem waren Lovetoys immer noch ein Tabu. Ich und mein Mitgründer haben uns gefragt, wie wir selbst gern einkaufen und informiert werden wollen: in einem stilvollen Onlineshop für das Liebesleben. So ist AMORELIE entstanden und hat schnell Fahrt aufgenommen. Den Zugang zur Sexualität leichter zu machen, fühlt sich heute wie damals sehr motivierend an. Wir haben tatsächlich einen echten Einfluss auf das Liebesleben der Deutschen und auf die ganze Branche. Dass unsere Lovetoys ganz selbstverständlich online bestellt und mittlerweile auch in Drogerien und Warenhäusern zum Kauf angeboten werden, sind nur einige Beispiele für den Wandel in der Gesellschaft. Das Thema Sexualität wird viel offener diskutiert als noch vor unserer Gründung. Und vor allem die Frau ist mehr in den Mittelpunkt gerückt. Das wurde früher ziemlich unterschätzt, da Männer eher als Zielgruppe und Käufer gesehen wurden.
FORUM: In den Anfangsjahren gab es bei Ihnen immer montags den „Morning Dance“, bei dem von der Praktikantin bis zum CFO jeder einmal die verschiedenen Funktionen der AMORELIE-Produkte nachtanzte. Nun ist AMORELIE seit seiner Gründung auf einen Wert von 100 Millionen Euro und über 100 Mitarbeiter gewachsen, ProSiebenSat1 hält 98 Prozent an dem Unternehmen. Haben Sie die Start-up-Mentalität im Unternehmen trotzdem beibehalten?
Cramer: Heute haben wir natürlich mehr Mitarbeiter, so dass ich mehr Verantwortung fühle und übernehme. Mit AMORELIE haben wir bereits viele Geschäftsziele erreicht, haben aber noch viel vor. Wir wollen die größte Marke für das Liebesleben weltweit werden. Das heißt für mich auch weiter Start-up- Mentalität: Mut, Neugier und Vertrauen in die eigenen Ideen. Und ja, der Morning Dance findet noch jeden Montagmorgen statt!
FORUM: Sind Sie heute eine andere Chefin als noch vor sechs Jahren?
Cramer: Ich glaube, dass ich als Chefin schon immer sehr nahbar gewesen bin. Ich sitze am selben Tisch mit meinen Mitarbeitern und versuche, transparent und echt zu sein – auch wenn ich Fehler mache. Diese Augenhöhe und dieses Miteinander halte ich für sehr wichtig. Im Vergleich zu den ersten Jahren führe ich besser: Anstatt viele Aufgaben selbst zu übernehmen, delegiere ich mehr und befähige die Führungskräfte und Teams dazu, immer selbstständiger zu werden. Dieser Prozess wurde noch stärker durch die Geburt meiner Kinder eingeleitet. Es geht gar nicht mehr anders. Für die Erkenntnis bin ich sehr dankbar. Seitdem ich Kinder habe, bin ich eine bessere Führungskraft.