Stahl: Marken sind ein Konstrukt, das in den Köpfen der Menschen in Form von Assoziationen existiert. Das bedeutet, wenn wir den Markennamen hören, bringen wir sofort etwas damit in Verbindung. Ob Coca-Cola, George Clooney, Porsche, der Eiffelturm oder sogar der Schwarzwald – faktisch kann alles eine Marke sein, sogar Universitäten. Es ist eher eine Frage der Markenwahrnehmung: Harvard ist eine der größten Marken der Welt, fast jeder kennt sie. Das ist bei der Universität Mannheim nicht der Fall. Dennoch ist sie eine etablierte Marke, die für ihre junge Geschichte eine beachtenswerte Strahlkraft hat.
Stahl: Die Universität Mannheim ist eine Art Dachmarke, die mehrere Submarken umfasst. Dazu gehören die Fakultäten, aber auch beispielsweise die Mannheim Business School, die eine eigene Leuchtkraft hat, auch wenn die Marke Universität Mannheim darüber schwebt. Wenn man „Uni Mannheim“ hört, assoziiert man sie sofort mit bestimmten Fachrichtungen – allen voran Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie. In der Wissenschaft denkt man an bestimmte international renommierte Forscherinnen und Forscher, die für die Universität Mannheim stehen. Zur Dachmarke gehören auch die wissenschaftlichen Einrichtungen, mit denen die Universität kooperiert – wie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung oder das Institut für Deutsche Sprache, die ihrerseits Marken sind und als solche einen so genannten „Spillover“, einen Ausstrahlungseffekt, auf die Universität Mannheim haben. Und nicht zu vergessen das Schloss – auch dafür sind wir bekannt. Das ist jedoch keine natürlich gewachsene Verbindung. Wir könnten auch in einem Hochhaus unterrichten.
Stahl: Menschen machen den Großteil dieser Marke aus. Die Marke wird repräsentiert durch die Forscherinnen und Forscher, die in den Medien auftreten, durch unsere Studierenden, die später sehr gut ausgebildet in namhaften Unternehmen arbeiten. Dann heißt es dort: „Schau, die Mannheimer, die können das!“ Und so spricht sich herum, dass wir die besten Absolventinnen und Absolventen haben. Diese werden sich darüber hinaus gern an ihr Studium erinnern, an die wichtigen Erfahrungen, die sie daraus mitgenommen haben, an die vielen tollen Freundschaften, die bis heute bestehen, an die Schneckenhofpartys, wovon viele erzählen, dass sie dort ihren heutigen Ehepartner kennen gelernt haben. Marken leben von solchen positiven Emotionen, die Menschen mit ihnen verbinden und sie dann in die Welt hinaustragen.
Stahl: Ein Logo ist eine Art Erkennungszeichen. Wenn Sie den Swoosh sehen, denken Sie sofort an Nike. Die Etablierung eines solchen Symbols dauert jedoch Jahrzehnte. Ein Logo sollte deshalb mindestens hundert Jahre verwendet werden. Wenn Nike heute seinen Haken durch ein anderes Symbol ersetzen würde, wäre das für die Marke schädlich, da es keine Wiedererkennung mehr geben würde. Deshalb ist es sinnvoll, viel Zeit in die Entwicklung eines Logos und eines einheitlichen Außenauftritts zu investieren. Wenn alle Institute der Universität Mannheim mit unterschiedlichen Logos kommunizieren, ist es praktisch unmöglich einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Dennoch ist die Optik nur ein Teil dieser Marke. Wären wir keine exzellenten Wissenschaftler oder wäre das Studium bei uns ein Alptraum, könnten wir noch so viele schöne Logos entwickeln. Der Markenbildung würde das nicht helfen.
Stahl: Da sie fast ausschließlich von Menschen definiert wird, ist dies schwierig bis unmöglich. Wir sind ein Team von rund 1.500 Mitarbeitern in Wissenschaft und Verwaltung, die an den unterschiedlichsten Themen arbeiten und gemeinsam diese Marke bilden. Ich gehe zum Beispiel zu Konferenzen und repräsentiere dort die Marke „Universität Mannheim“ – und alle anderen Forscherinnen und Forscher machen das auch. In der Summe definiert dies das Bild der Universität Mannheim in der Wissenschaftscommunity. So ist es auch mit den Studierenden und den Alumni in ihrer beruflichen Laufbahn. Es ist schwierig, in diesem Bild Konsistenz herzustellen. Menschen können nur bedingt gesteuert werden. Das Beispiel der Universität Mannheim zeigt jedoch auch, dass es oftmals keine Steuerung braucht. Die Bindung und die Corporate Identity sind so stark, dass die meisten Menschen positiv über die Marke sprechen und sie nach außen sehr gut repräsentieren – ein Selbstläufer.
Stahl: Vor einigen Jahrzehnten waren Universitäten noch mehr ein nationales Thema. Als Student wählte man ein Fach und ging dorthin, wo es angeboten wurde. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich dies mit der Etablierung der Hochschulrankings komplett verändert. Plötzlich standen bestimmte Universitäten für bestimmte Fächer. Heidelberg steht für Medizin, Freiburg für Jura – nicht aber für BWL oder VWL. Um international wettbewerbsfähig zu sein, ist das aber auch von Vorteil: Da wir in Deutschland seit Jahren ungeschlagen auf Platz eins in der Betriebswirtschaftslehre stehen, haben wir auch die höchsten Bewerberzahlen. Aus 7.000 Abiturientinnen und Abiturienten können wir die 400 intelligentesten auswählen. Damit ist praktisch gewährleistet, dass diese auch nach dem Studienabschluss erfolgreich bleiben. So wird eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, mit deren Hilfe die Marke noch stärker wird. Auf ähnliche Weise bekommen wir auch exzellente Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, denn Mannheim ist in bestimmten Fachrichtungen einfach „the place to be“. Da spielt es dann sogar keine Rolle, dass unsere Universität in Mannheim steht und nicht in einer Stadt wie Berlin, London oder Paris.
Interview: Nadine Diehl / Oktober 2018