Ist der Wahl-O-Mat noch zu retten?

Beitrag von Professor König

Der Wahl-O-Mat der Bundes­zentrale für Politische Bildung muss für die Europawahl 2019 wegen eines Gerichtsurteils offline gehen. Laut einstweiliger Anordnung des Kölner Verwaltungs­gerichts verstößt der Wahl-O-Mat mit seinem Vergleich der Positionen von lediglich 8 der insgesamt 41 kandidierenden Parteien gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Bundes­zentrale für Politische Bildung hat im Gegenzug angekündigt, gegen die Anordnung des Kölner Verwaltungs­gerichts Einspruch einzulegen, da diese gegen die bisherige Rechts­prechung aus dem Jahr 2011 verstoßen würde. Allerdings hat das Bundes­verfassungs­gericht im Jahr 2014 die 5%-Sperrklausel für Europawahlen aufgehoben, was womöglich den Kölner Richterspruch beeinflusst hat.

Gegen die Verbreitung des Wahl-O-Mat sprechen aber ganz andere politik­wissenschaft­liche Gründe als der juristische Gleichheitsgrundsatz. Wie auch andere Portale möchte der Wahl-O-Mat die Wähler unterstützen herauszufinden, inwieweit ihre Interessen und Einstellungen mit den wahl­programmatischen Positionen und Zielen der kandidierenden Parteien übereinstimmen. Jedoch ist die Art und Weise, wie die Aussagen der Parteien erfasst werden, aus politik­wissenschaft­licher Sicht höchst problematisch. Die zugrundeliegende Befragung der Parteien zu ihren wahl­programmatischen Positionen und Zielen ermöglicht besonders Parteien am rechten und linken Rand des Parteienspektrums, sich „strategisch“ und nicht „ehrlich“ zu positionieren. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Ergebnisse des Wahl-O-Mat eher irreführend als informations­fördernd wirken. Besonders bei Europawahlen, in denen der Wähler – womöglich selbst wenig informiert über die Organisation und Funktion von Parteien im Europäischen Parlament – mit einem sehr unübersichtlichen Angebot von sehr vielen Parteien konfrontiert und eher geneigt ist, mal „anders“ zu wählen, kann diese Irreführung von Bedeutung sein.

Der Wahl-O-Mat der Bundes­zentrale für Politische Bildung – wie viele andere vergleichbare Angebote – möchte die wahl­programmatischen Aussagen der kandidierenden Parteien zu einzelnen Themen erfassen, mit deren Bekundung laut politik­wissenschaft­licher Forschung Parteien unterschiedliche Ziele verfolgen. Neben der Information der Wähler dienen wahl­programmatische Aussagen der Mobilisierung und Disziplinierung von Partei­mitgliedern, die als Repräsentanten nach der Wahl die Positionen und Ziele ihrer Partei in den entsprechenden Gremien vertreten sollen. Wahl­programmatische Aussagen senden aber auch Signale an potenzielle Koalitions­partner und markieren in Koalitions­verhandlungen die Ausgangspositionen der entsprechenden Parteien. Allerdings verfolgen nicht alle Parteien in gleicher Weise diese Ziele mit ihren Aussagen, die über die Wahl­programme der Parteien, die Wahlkampfauftritte ihrer Repräsentanten oder Befragungen erfasst werden.

Schaut man sich die Parteien am rechten und linken Rand des Parteienspektrums an, dann kann bei dieser Europawahl ein einheitlicher Trend über die verschiedenen Quellen ausgemacht werden. Fast alle Parteien und Repräsentanten sehen sich als Klimaschützer, versprechen gegen soziale Ungleichheit und Un­gerechtigkeit zu kämpfen, wollen sich für Frieden und gegen Kriminalität einsetzen und eine stärkere Vertretung der vernachlässigten Bürger-/Wählerinteressen erreichen. Zu guter Letzt wollen diese auch nicht mehr die Europäische Union abschaffen, sondern lediglich „reformieren“, insbesondere Bürokratie und die Verschwendung von Ressourcen durch europäische Institutionen abbauen. Folgt man also diesen Aussagen, dann entsteht der Eindruck, es handele sich um Parteien der linken oder rechten Mitte des Parteienspektrums, die vergleichbar wählbar erscheinen wie die dort etablierten Parteien der Grünen, SPD, Union oder FDP.

Vergleicht man jedoch diesen Eindruck mit vor der Wahlkampf­phase liegenden Aussagen und Auftritten, dann dürfte es sich nicht um „ehrliche“, sondern „strategische“ Wahlaussagen handeln. Politik­wissenschaft­lich ausgedrückt spiegeln diese Aussagen nicht die wahren Präferenzen der Parteien, sondern eher populäre Positionen wider, die sich bspw. aus Umfragen wie der Popularität des Klimaschutzes, des Friedens und der Unpopularität von Kriminalität und Bürokratie ableiten lassen. Diese strategische Positionierung dürfte sicherlich auf die Wahlaussagen aller Parteien zutreffen, jedoch unterliegen Parteien am linken und rechten Rand anderen Restriktionen. Zum einen müssen diese Parteien keine Rücksicht auf etwaige Koalitions­partner nehmen, da insbesondere die etablierten Parteien eine Zusammenarbeit mit ihnen kategorisch ablehnen; zum anderen folgen ihnen ihre Mitglieder auch unabhängig von ihren Wahlaussagen, da für sie eine Unterstützung der etablierten Parteien genauso kategorisch ausgeschlossen ist. Im Resultat finden sich bei dieser Europawahl die Wahlaussagen von 41 Parteien, die bei wichtigen/populären Themen kaum unterscheidbar sind.

Der Wahl-O-Mat der Bundes­zentrale für Politische Bildung fragt bei den Parteien nach, wenn Unterschiede zwischen ihren Befragungs­angaben und ihren Wahl­programmen bestehen. Jedoch obliegt es letztlich den befragten Parteien, die im Wahl-O-Mat verwendeten Aussagen zu bestimmen. Findet also eine Partei bspw. im Laufe der Brexit-Verhandlungen heraus, dass ihre vorherige Aussage zur Abschaffung oder dem Austritt aus der Europäischen Union unpopulär geworden ist, dann kann sie ihre Wahl-O-Mat-Positionierung in Richtung Reform der Europäischen Union ändern. Mit dieser Art und Weise trägt der Wahl-O-Mat der Bundes­zentrale für Politische Bildung zur strategischen Positionierung von Parteien bei – eine Art der Positionierung, die nicht den Parteien zum Vorwurf gemacht werden kann. Jedoch sollte sich die Bundes­zentrale für Politische Bildung nicht an der Irreführung der Wähler mit einem Wahl-O-Mat beteiligen, der die methodischen Grundsätze der politik­wissenschaft­lichen Forschung vernachlässigt. Besonders bei Europawahlen kann dieses Defizit – das auch bei vergleichbaren Portalen besteht – von Bedeutung sein.

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