FORUM: Wie kam es dazu, dass Sie neben Ihrer akademischen Laufbahn auch als Gründer aktiv wurden?
Lerchenmüller: Ursprünglich kam ich aus der Industrie zur Universität. Nach meiner Tätigkeit als Unternehmensberater mit Pharmaschwerpunkt für die Boston Consulting Group in New York habe ich über die Promotion meine Passion für die akademische Forschung und Lehre entdeckt. Das Engagement in Gründungen erlaubt mir in gewissem Maße beide Welten zu verbinden. Unsere Gründung AaviGen erforscht und entwickelt eine Idee – ähnlich wie man Ideen in der Wissenschaft entwickelt – und nutzt dann Kenntnisse aus der Praxis, um die Idee umzusetzen. Mich persönlich reizt diese Kombination!
Außerdem war ich schon vor Beginn meiner wissenschaftlichen Karriere in die Gründung eines Start-ups involviert: Ich war Mitglied des Gründerteams der InoCard GmbH, eines biotechnologischen Start-ups, das ebenfalls das Ziel einer kardiovaskulären Gentherapie verfolgt hat. InoCard wurde aber 2014, vor meiner akademischen Laufbahn, an die UniQure verkauft, die damals als erstes Unternehmen überhaupt eine Gentherapie von den Behörden zugelassen bekam. Interessanterweise bestand allerdings schon damals eine enge Verbindung zur Universität Mannheim: Das von Prof. Woywode geführte Mannheim Center für Entrepreneurship und Innovation hat unsere Business-Plan-Entwicklung tatkräftig mit einem Studierenden-Team unterstützt!
FORUM: Wie weit ist die Entwicklung der therapeutischen Methoden zur Behandlung von Herzinsuffizienz, die AaviGen anstrebt?
Lerchenmüller: Wir sind in einem frühen Stadium, der sogenannten präklinischen Entwicklung, in der wir die prinzipielle Sicherheit und Effizienz der Therapie testen. Wir haben für diese Phase fünf Millionen Euro Risikokapital am Markt einwerben können, die unsere operative Tätigkeit für die nächsten drei Jahre tragen wird. Wir sind sehr froh mit der DH-LT, einer Investmentgesellschaft des SAP Gründers Dietmar Hopp, einen renommierten Investor haben gewinnen zu können, der darüber hinaus der Region mit ihren universitären Standorten sehr verbunden ist.
FORUM: Ihrer Meinung nach, wie weit wird die Entwicklungsarbeit von AaviGen in fünf Jahren fortgeschritten sein?
Lerchenmüller: Wir sind zuversichtlich, dass wir in fünf Jahren den Zulassungsprozess für die klinischen Tests der ersten Therapie einleiten können. Das medizinische Problem, dass die AaviGen mit ihrer Technologieplattform lösen möchte, hat das Potential, die Therapie verschiedener Formen der Herzmuskelschwäche zu revolutionieren. Als echte kurative Therapie steht gegenwärtig nur die Herztransplantation zur Verfügung, die aber weniger als 0,005% der schwerkranken Patienten erreicht. Der von uns verfolgte Gentherapie-Ansatz würde es ermöglichen, auf Basis überzeugender Sicherheits- und Effizienzdaten aus der präklinischen Entwicklung, die ersten kranken Patienten in klinische Studien aufzunehmen und bei positiven Resultaten möglicherweise vielen Menschen eine neue Behandlungsoption zu geben.
FORUM: Welche Effekte hat Ihre Forschungsarbeit auf Ihre Arbeit bei AaviGen und wie wirkt sich Ihr Engagement für AaviGen wiederum auf Ihre Tätigkeiten am Lehrstuhl aus?
Lerchenmüller: Der überwiegende Teil meiner Arbeit für AaviGen profitiert von Erfahrungen, die ich in meiner Tätigkeit für die Boston Consulting Group gewinnen durfte. Dennoch empfinde ich meine Forschungsarbeit und die Aufgaben in der AaviGen als sich gegenseitig befruchtend. Beispielsweise entstehen durch das praxisnahe Verständnis von Innovationsdynamiken in der medizinischen Forschung und Medikamentenentwicklung neue Forschungsfragen. Aktuell verfolge ich ein Forschungsprojekt, das hinterfragt, ob mehr Geld zwangsläufig zu mehr Innovation in dieser forschungsintensiven Industrie führt. Mögliche Erkenntnisse aus diesem Projekt könnten für viele Start-ups, die oft um jeden Cent kämpfen müssen, wertvoll sein. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass meine Gründungserfahrungen zukünftig beispielsweise zu Lehrformaten beitragen könnten, die unsere Studierenden in Mannheim ansprechen.
Interview: Dr. Liane Weitert / Juni 2021