100 Jahre Verhaltenstherapie – ein fast vergessenes Jubiläum

In ihrem allerersten Fall behandelte Mary Cover Jones vollkommen unkonventionell einen dreijährigen Jungen, der Angst vor Kaninchen und anderen pelzigen Tieren hatte. Mit ihrer innovativen Methode, die sie aus Erkenntnissen der Lernpsychologie ableitete, gelang es ihr, das Kind Schritt für Schritt an den Umgang mit den Tieren zu gewöhnen und positive Assoziationen zu schaffen. 1924 veröffentlichte die US-amerikanische Psychologin die gut dokumentierte Fallstudie. Die Gewöhnung an Angst auslösende Reize – der Kern ihrer Methode – ist bis heute bei der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen sowie Suchterkrankungen und Essstörungen im Einsatz. Obwohl Mary Cover Jones ihrem Ansatz damals keinen Namen verlieh, kann sie als „Mutter“ der Verhaltenstherapie angesehen werden. An diese oft vergessene Pionierin erinnert Prof. Dr. Georg Alpers in seinem Aufsatz „Happy 100th Anniversary, Behavior Therapy!“, der im Oktober in der Zeitschrift Behaviour Research and Therapy erschienen ist.
„Mit ihrem Wissen aus der experimentellen Psychologie testete Mary Cover Jones gründlich die Vor- und Nachteile ihrer Behandlungsmethoden – Prinzipien, die bis heute gelten“, so der Autor. Verhaltenstherapie baut auf Erkenntnissen der Grundlagenwissenschaften auf und evaluiert wisssenschaftlich ihre Ergebnisse. Neben der ersten dokumentierten Fallstudie des kleinen Peter führte sie auch den ersten systematischen Vergleich verschiedener Verhaltensinterventionen an 70 Kindern durch, die in einer Anstalt lebten und zum Teil unter starken Ängsten litten. „Bei der Behandlung der Kinder agierte sie weise und mit methodischer Strenge“, so Alpers. Seit diesen Anfängen hat sich die Verhaltenstherapie weltweit etabliert: Fachzeitschriften wurden gegründet, Handbücher geschrieben und die Methode zum festen Bestandteil der universitären Ausbildung gemacht.