Forschungsprojekt bringt neue Erkenntnisse zu Kriegsspielen
Die Siedler von Catan, Risiko oder Schach – Spiele, die fast jeder schon einmal gespielt hat. Doch die wenigsten werden sich darüber Gedanken gemacht haben, dass – und auf welche Weise – solche Spiele ein bestimmtes Verständnis von Krieg vermitteln. Die Mannheimer Romanistin Dr. Daniela Kuschel interessiert sich jedoch genau dafür: In ihrem zweijährigen Forschungsprojekt hat sie analysiert, welche Kriege aus der romanischsprachigen Welt in Brett- sowie Videospielen aufgenommen und wie sie dargestellt werden.
Ein Kernergebnis der Forschung ist, dass in den letzten Jahren immer mehr digitale sowie analoge Spiele entwickelt wurden, die sich mit Kriegen in romanischsprachigen Ländern beschäftigen. Das scheint zum einen an veränderten Produktionsbedingungen zu liegen, die die Herstellung von Nischenprodukten z.B. durch Crowdfunding ermöglichen, aber auch an der zunehmenden Herausbildung von Spieleindustrien in den entsprechenden Ländern. Zum anderen scheint es zu ersten Ermüdungserscheinungen „klassischer Kriegsszenarien“ wie des Ersten und Zweiten Weltkriegs zu kommen und nun rücken stärker national geprägte Erinnerungen und Kriegsgeschehen in den Blick der Spieleautorinnen und -autoren.
Dabei spielt die nationale Erinnerungskultur eine große Rolle, da sie beeinflusst, ob und wie Kriege in Spielen dargestellt werden. „Zum Algerienkrieg gibt es beispielsweise gar kein Videospiel und nur wenige Brettspiele, die allesamt keine französischen oder algerischen Produktionen sind. Für Algerien könnte die fehlende industrielle Infrastruktur ein wichtiger Faktor sein, für die französische Seite eher, dass dieser Krieg lange Zeit überhaupt nicht als solcher bezeichnet wurde und seine Aufarbeitung weiterhin mit einer starken Diskurskontrolle einhergeht. Auf der anderen Seite nutzen manche Produzentinnen und Produzenten analoge und digitale Spiele, um zum Beispiel die lateinamerikanischen Diktaturen aufzuarbeiten“, erläutert die Forscherin. Einige Spiele beteiligen sich sogar aktiv an erinnerungskulturellen Prozessen und nehmen Themen wie Kolonialisierung oder Sklaverei kritisch in den Blick.
Weiterhin ergab das Projekt, dass mehrere aktuelle Spiele mit der gängigen Kriegsdarstellung brechen und das Geschehen aus der Sicht von einfachen Soldaten, Maquis/
Aufgrund ihrer offenen Herangehensweise an das Projekt hat die Romanistin auf mehrere methodische Ansätze zurückgegriffen: „Als Literatur- und Medienwissenschaftlerin hat mich in erster Linie die narratologische Komponente interessiert – also die Art und Weise, wie ein Spiel über Krieg erzählt. Dazu habe ich mir unter anderem angeschaut, welche visuellen Elemente benutzt werden, woraus die Spielmaterialien bestehen oder welche Rückschlüsse sich durch die erzählte Hintergrundstory sowie die Spielregeln ziehen lassen.“ Realisiert hat Kuschel dies mit literaturwissenschaftlichen Methoden wie der Film- und Erzähltextanalyse, Ansätzen aus den Game Studies und der Diskursanalyse. Außerdem führte die Forscherin Interaktionsanalysen durch, um herauszufinden, wie die Spielenden mit dem Spiel interagieren.
Das zweijährige Forschungsprojekt hat eine wissenschaftliche Zeitschrift, die Kuschel zusammen mit einem Kollegen, Prof. Dr. Bernd Schmid-Ruhe (HdM Stuttgart) herausgibt, hervorgebracht. Die erste Ausgabe von „Spiel, Kultur & Kontext: Zeitschrift für interdisziplinäre Spieleforschung“ erschien im März 2022 unter dem Titel „Tischgespräche“ und beschäftigt sich mit der Darstellung von Krieg und Konflikt im Brettspiel. Die zweite Ausgabe wird die Ergebnisse des zweitägigen Workshops „War, Memory & Games in the Romance-Speaking World“, der im Juli 2022 an der Universität Mannheim stattfand, zusammentragen. Eine dritte Ausgabe ist bereits in Planung, in der verschiedene theoretische Zugänge zu Brettspielen vorgestellt werden sollen, um anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Analysewerkzeuge an die Hand zu geben. In Arbeit ist darüber hinaus ein Sammelband mit internationalen Kolleginnen und Kollegen zum Thema „La Guerra Civil española en los juegos y contextos lúdicos“ (Der spanische Bürgerkrieg in Spielen und spielerischen Kontexten). „Ein wichtiger Punkt ist auch das Netzwerk aus Forschenden und Spielenden sowie Spieleproduzentinnen und -produzenten, das durch das Projekt entstanden ist und aus dem sich hoffentlich noch weitere Projekte entwickeln werden“, so die Romanistin. Zusätzlich verfolgt sie das Ziel, dieses Forschungsfeld zukünftig in die Universitätslehre zu integrieren.
Gefördert wurde Kuschel in den vergangenen zwei Jahren durch die Programmlinie „Research Seed Capital“ (RiSC) der Universität Mannheim und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Die Förderung richtet sich an promovierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die ausgefallene und risikoreiche Projekte in neuen Forschungsfeldern umsetzen möchten. Je nach Vorhaben ist eine Fördersumme von bis zu 100.000 Euro möglich.
Die erste Ausgabe von „Spiel, Kultur & Kontext“ steht hier zum Download zur Verfügung: https://majournals.bib.uni-mannheim.de/skk/index