Alle Hoffnung ruht auf Emma

Erst schließt der Super­markt, dann der Getränkehandel, der Bäcker und schließlich der Metzger. Zurück bleiben die 1.800 Einwohner der Gemeinde Spechbach im Rhein-Neckar-Kreis – ein Schicksal, das sie mit vielen ländlichen Gemeinden teilen. Das studentische Start-up Ciconia Software entwickelt nun zusammen mit Forschern des Instituts für Enterprise Systems (InES) der Universität Mannheim „Emmas App“, ein soziales Lebens­mittel-Liefer­system für den ländlichen Raum.

„Der Lieferservice ist unter Ihrer Postleitzahl leider nicht verfügbar“, das ist die Nachricht, die die Einwohner von Spechbach angezeigt bekommen, wenn sie sich online Lebens­mittel bestellen wollen. Sie haben es beim Lebens­mitteleinkauf wirklich nicht leicht: Anfang des Jahres hat mit der Metzgerei das letzte Einzelhandels­geschäft im Ort geschlossen. Und die Online-Lieferservices von Supermärkten oder großen Versandhändlern sind keine Alternative: Sie liefern aus wirtschaft­lichen Gründen in dünner besiedelte Regionen nur entlang der Bundes­straßen. 74937 Spechbach fällt leider nicht dar­unter.

„Emmas App“ soll den Einwohnern ländlicher Gebiete helfen. Entwickelt wird die Einkaufs-App vom 2017 gegründeten Unternehmen für Softwarelösungen, Ciconia Software, das aus einem Team­projekt von Master­studenten der Universität Mannheim im Frühjahr 2016 entstanden ist. Zusammen mit dem Institut für Enterprise Systems der Uni Mannheim (InES), der fastahead GmbH & Co. KG und der LUNAR GmbH, dem IT-Unternehmen von EDEKA, hatten die studentischen Gründer von Ciconia Software die Idee für das soziale Liefer­netzwerk „Crowd my Region“. Seit April 2018 fördert das Bundes­ministerium für Wirtschaft und Energie das Projekt. 

Das Konzept von „Crowd my Region“ ist ein neues Liefer­system, bei dem mittels „Emmas App“ Lebens­mittel wie Brot, Wurst, Obst und Gemüse von regionalen Händlern bestellt werden können. Fahrer bringen die Bestellungen dann zu zentralen Abholpunkten im Ort, wie zum Beispiel dem Bäcker um die Ecke. Für Personen ohne Handy soll es zukünftig an den Abholstationen auch ein Bestellterminal geben. „Das Besondere an der Idee ist, dass wir keinen eigenen, kostenintensiven Lieferservice aufbauen“, erklärt Dr. Christian Bartelt vom Institut für Enterprise Systems. Vielmehr werden dafür „Sowieso-Fahrten“ von Gewerbetreibenden und Privatpersonen genutzt. „Das können Apotheken sein, die Medikamente ausliefern, oder mein Nachbar, der von der Arbeit kommt“, sagt Bartelt. Das Forschungs­team um Dr. Bartelt entwickelt für diesen Zweck gerade einen Algorithmus, mit der die App die Wege von Privatpersonen vorhersagen und ihnen passgenaue Vorschläge für eine Mitnahme geben kann. Marko Jeftic, einer der studentischen Gründer von Ciconia Software, plant bis Ende des Jahres den Prototyp der App fertig zu stellen. 2019 werden erste Testnutzer aus den Gemeinden Spechbach und Schönbrunn die App auf Herz und Nieren prüfen, bevor auch Nachbargemeinden von „Emmas App“ profitieren dürfen. Ziel ist, die Entwicklung des sozialen Liefer­netzwerks bis 2021 abzuschließen.

Herausforderungen gibt es beim Projekt „Crowd my Region“ viele: „Kühlkette, Haftung, Datenschutz, Zahlungs­abwicklung“, fallen Jeftic auf Anhieb ein. Doch gelingt das Projekt, könnte durch die Verbesserung der ländlichen Versorgungs­struktur das Dorfleben wieder attraktiver werden. „Außerdem würden wir die Abholstationen als soziale Treffpunkte stärken“, fügt Guntram Zimmermann, Bürgermeister der Gemeinde Spechbach, hinzu. Ihn freut es besonders, dass die Metzgerei in Spechbach drei Monate später wieder geöffnet hat. Der zusätzliche Umsatz als Abholstation könnte ihr Überleben nachhaltig sichern.

Text: Annika Freitag / August 2018