Ein Wiedersehen mit … Simon Müller

Simon Müller studierte von 2005 bis 2010 BWL an der Universität Mannheim. Danach verschlug es ihn über Berlin, Köln und New York nach Boston ins Hauptquartier einer der größten Unternehmens­beratungen der Welt, der Boston Consulting Group. Nach einem Master an der Harvard Kennedy School gründete er 2014 die weltweit agierende NGO „The Future Society“ mit.

11 Uhr in Boston. Bei Simon Müller klingelt das Telefon, seine Alma Mater ist am Apparat. Es ist kein Wiedersehen, der Weg für ein persönliches Treffen wäre zu weit – höchstens also ein Wiederhören. Was nicht schlimm ist. Simon Müller muss man nicht sehen. In seiner Stimme schwingt bei jedem Satz unüberhörbar Begeisterung mit – für all die Dinge, die er tut und die, die er bereits hinter sich gebracht hat. Wie sein BWL-Studium in Mannheim beispielsweise. Erinnerungen werden in ihm wach – an eine intensive Zeit, mit langen Nächten in der „Bib“ und auf dem Schneckenhof. Mit Professoren und Kommilitonen, von denen er sich inspiriert fühlte. „Ich hatte Mannheim ausgewählt, weil ich von den Besten lernen wollte, und so war es dann auch. Ich habe viele extrem intelligente und inspirierende Menschen kennengelernt, mit denen mich heute tiefe Freundschaften verbinden“, erzählt er. „Mein Studium hat mich Demut gelehrt – und mir die eigenen Grenzen aufgezeigt.“

Hinter seinem Bilderbuch-Lebens­lauf würde man diese Grenzerfahrungen nicht vermuten: Abschluss mit Glanznoten, gefördert von der Studien­stiftung des deutschen Volkes, Bronnbacher Stipendiat. Direkt nach dem Studium bekam Simon Müller einen Job bei der Boston Consulting Group (BCG), einer der Top-Beratungs­firmen der Welt, wo er heute für die Felder Strategie, Technologie und Robotik zuständig ist. Mit gerade mal 30 Jahren hat er als General Manager das BCG Henderson Institute für das Unternehmen aufgebaut – ein Think Tank in New York, in dem verheißungs­volle Strategie­modelle von morgen ausgetüftelt werden.

Simon Müller ist ein Überflieger. Doch einer, der die Ellenbogen einklappt und immer wieder nach rechts und links schaut: Neben dem straffen BWL-Studium hat er Philosophie-Vorlesungen in Heidelberg besucht, um Antworten auf wirtschafts­ethische Fragen zu finden; als Bronnbacher Stipendiat hat Simon Müller künstlerische Prozesse kennen gelernt – für ihn eine unglaublich bereichernde Erfahrung. Seine Freude am Erkunden fach­fremder Gebiete führte auch zu einem weiteren wichtigen Abschnitt in seinem Leben: 2013 ließ er sich von der Arbeit freistellen, um einen Master in Public Administration an der Harvard Kennedy School zu absolvieren. „Das Studium in Harvard war für mich transformativ“, erzählt Müller. „Es ist wirklich ein magischer Ort, an den Idealisten und Pragmatiker aus allen Winkeln der Erde pilgern, um sich Verbündete für ihr Anliegen zu suchen. Armutsbekämpfung, Migration, Menschenrechte – welches Feld auch immer, dort findet man Mitstreiter.“

Auch er hat sie gefunden – für eine NGO namens „The Future Society“, die sich mit den gesellschaft­lichen Herausforderungen von exponentiellen Technologien wie Künstlicher Intelligenz beschäftigt. „Wir stehen vor einer neuen Stufe der Evolution, in der Intelligenz nicht mehr auf die Köpfe von Individuen beschränkt ist, sondern sich in den distribuierten Netzwerken von Maschinen befindet“, erklärt er. „Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Bio- und Nano-Engineering, Gehirnforschung – all diese Technologien werden die Welt in einer Art und Weise verändern, auf die die Gesellschaft und die politischen Entscheidungs­träger nicht vorbereitet sind.“

Genau das will „The Future Society“ ändern: Müllers NGO agiert deshalb weltweit, kooperiert mit der OECD, Industrieverbänden und Regierungs­organisationen, organisiert Roundtables und Panel-Diskussionen. Immer geht es um dieselben drängenden Fragen: Wie verändert die Automation den Arbeits­markt? Wie lässt sich verhindern, dass Algorithmen nach Nationalität, Hautfarbe oder Sexualität diskriminieren? Und wo bleibt bei all dem die Privatsphäre?

Dass der BWL-Absolvent sich so sehr für Technik interessiert, kommt nicht von ungefähr. Schon als Kind habe er Lichtschranken, Alarmanlagen und Verstärker zusammengelötet. Später ging er auf ein technisches Gymnasium in der Nähe von Frankfurt. Ende der 90er Jahre gründete er als Schüler mit Freunden ein kleines Start-up: Sie digitalisierten Dokumente für Betriebe, klassifizierten sie und luden sie ins Intranet hoch – die erste Welle des Content Management. „Ich war schon immer unternehmerisch unterwegs. Und Technik war immer ein treibender Faktor in meinem Leben“, sagt der heute 32-Jährige.

Bei der Boston Consulting Group kann Simon Müller beide Leidenschaften ausleben, dabei erwarten ihn immer wieder neue Herausforderungen. Bis heute ist er der Firma deshalb treu geblieben, eine Rückkehr nach Deutschland ist kurzfristig nicht in Aussicht. Den Kontakt zur Heimat lässt Simon Müller dennoch nicht abbrechen: Er ist Leiter der ABSOLVENTUM-Regional­gruppe in Boston und verbringt regelmäßig Silvester und Pfingsten mit seinen Studien-Freunden in Europa. „Es ist immer wieder ein Erlebnis, in die Heimat zurückzukehren. Wenn man so lange weg gewesen ist, bekommt man einen ganz anderen Blick darauf“, erzählt Müller. „Brezeln und Weißbier schmecken jetzt zum Beispiel viel besser als früher.“ Lachen dringt durch den Hörer vom anderen Ende der Welt – und eine Stimme, die selbst von den kleinen Dingen im Leben begeistert klingt.

Text: Nadine Diehl / April 2018