von Thadden: Traditionell promovieren deutsche Lehrstühle ihre Doktorandinnen und Doktoranden individuell. An der Graduiertenschule gibt es hingegen eine Kohorte von Studierenden – sie besuchen gemeinsam die Methodenkurse, tauschen sich untereinander aus und lernen von mehreren Professorinnen und Professoren. Das ist sehr sinnvoll. Denn Doktoranden sollen in ihrer Promotion verschiedene Kompetenzen unter Beweis stellen und die lernen sie am besten von den jeweiligen Fachleuten. Meine GESS-Doktoranden waren immer besser ausgebildet, als ich es bin. So etwas ist naturgemäß nicht möglich, wenn ich der Einzige bin, der ihnen diese Fähigkeiten vermittelt.
Erdfelder: Die Doktorandinnen und Doktoranden haben auch den Vorteil, dass wir den Hauptbetreuer für ihre Dissertation wechseln können, wenn diese irgendwann in eine Richtung geht, für die der ursprüngliche Betreuer nicht mehr ideal ist. Oder wenn Konflikte auftreten. Früher sind die Leute in solchen Fällen oft aus dem System gefallen. Heute können wir im Interesse des Doktoranden und eines besseren Abschlusses das Betreuungsteam ändern. Auch Teil einer Gruppe mit anderen Promovierenden zu sein, erleben die GESS-Studierenden als sehr positiv.
Berning: Es gibt harte Kennzahlen, die wir uns anschauen. Das sind GRE-, GMAT- und TOEFL-Scores, also generalisierte Tests. In dem Moment, wo ein Absolvent – egal von welcher Universität – die Top-Scores erreicht, hat er die gleichen Chancen, zu einem Interview eingeladen zu werden, wie jeder andere.
von Thadden: Wir versuchen natürlich, die besten Bewerberinnen und Bewerber zu bekommen, und an renommierten Universitäten wie Oxford, London oder Paris lernt man einfach eine ganze Menge, das ist nicht zu leugnen. Mein Eindruck bei den Bewerbern ist aber zumindest im deutschsprachigen Raum eher umgekehrt. Wenn ich meinen Master an einer unbekannten Uni gemacht habe und unbedingt etwas in der Wissenschaft werden will, dann gehe ich im Anschluss in die große weite Welt. Und die liegt glücklicherweise in Nordbaden.
Berning: Ich glaube, gutes Marketing hat dabei eine große Rolle gespielt. Wir waren von 2015 bis 2017 auf 17 internationalen Messen vertreten und das hat gefruchtet. Vor allem in Asien, das wissen wir aus unseren Evaluationen. Wir sind aber auch auf andere Trends eingegangen, wie die Einführung einer Early Application Deadline. Als es die noch nicht gab, sind uns viele internationale Bewerber abgewandert, weil sie von anderen Universitäten früher eine Zusage bekommen haben.
Erdfelder: Auch den Werbeeffekt durch unsere Absolventinnen und Absolventen darf man nicht verkennen. Die erste Generation hat auf dem akademischen Markt Fuß gefasst, im In- und Ausland. Damit werden auch deren Studierende auf die GESS aufmerksam.
Berning: Die Finanzierung für das erste Promotionsjahr ist in jedem Fall über ein Stipendium gesichert. Und sofern die Mittel verfügbar sind, wird das Stipendium über das erste Jahr hinaus verlängert. Alternativ werden die Doktorandinnen und Doktoranden nach der Kursphase über ein Drittmittelprojekt oder in einer Arbeitsgruppe finanziert, bleiben aber nach wie vor GESS-Doktoranden und Teil ihrer Kohorte.
von Thadden: Graduiertenschulen gehören in Deutschland nicht zum Inventar, auch heute noch nicht. Es mussten völlig neue Strukturen geschaffen werden und das war in den ersten Jahren nicht einfach. Man muss Fakultätsstrukturen aufbrechen, neue Studienordnungen, Prüfungsordnungen und Promotionsordnungen schreiben. Ohne das Geld der Exzellenzinitiative wäre das nicht möglich gewesen. In dieser Hinsicht hat sie viel bewirkt. Und die Auszeichnung hat auch geholfen, Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen, die der Umstrukturierung skeptisch gegenüberstanden.
Erdfelder: Wenn ich allein die Veränderungen bei uns in der Psychologie sehe, bin ich sehr zufrieden. Einer der wichtigsten Erfolgsindikatoren ist die Anzahl der Publikationen und die Reputation der Zeitschriften, in denen publiziert wird. 2007 war es Standard, die Dissertation als Monografie zu veröffentlichen. Die haben dann maximal fünf Leute gelesen. Heute publizieren unsere Doktoranden deutlich mehr – und in sehr hochrangigen Zeitschriften. Das ist ein toller Erfolg. Auch bei den Placements der Absolventen sieht man den Unterschied. Die machen mittlerweile Karriere in großen Unternehmen oder an namhaften Universitäten wie Tilburg, St. Gallen oder Yale.
von Thadden: Wir müssen darauf achten, dass die GESS nicht einfach als Komplement gesehen wird, sondern die Lehrstuhlpromotion ganz abgelöst wird. Die Exzellenzinitiative wollte einen Strukturwandel in der Doktorandenausbildung anstoßen und den haben wir in Mannheim angestoßen. Wenn man erfolgreich bleiben will, muss man weiter gehen.
Erdfelder: Es gibt auch ein paar Baustellen, an denen wir arbeiten. Seit ein paar Jahren versuchen wir zum Beispiel noch gezielter, interdisziplinäre Projekte anzuregen – unter anderem mit einem Research Day, aus dem wir im Frühjahrssemester erstmals ein komplettes Seminar machen. Wir wollen auch noch stärker Drittmittel akquirieren. Wir haben in der Vergangenheit bereits zwei DFG-Graduiertenkollegs eingeworben, dieser Erfolg macht Mut. Und dann möchte ich gern sehen, wie unsere Statistiken 2027 aussehen. Ich würde mir wünschen, dass die GESS dann mindestens genauso gut dasteht wie heute.
von Thadden: Ich glaube, sie wird dann sogar noch besser dastehen. Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess. An der GESS ist in den letzten fünf Jahren hervorragend gearbeitet worden. Man merkt einfach, das ist eine Struktur mit Vorbildfunktion.
Interview: Katja Bär und Linda Schädler | April 2018