Mit Kunst an die eigenen Grenzen gehen
Seit 2004 vergibt der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft an der Universität Mannheim das Bronnbacher Stipendium. Ein Jahr lang lernen Stipendiatinnen und Stipendiaten in Workshops mit renommierten Künstlern und Kulturschaffenden kreativer zu denken, sich auf Neues einzulassen und auch hin und wieder die Kontrolle abzugeben – Kompetenzen, die sie als zukünftige Führungskräfte gut gebrauchen können.
Es ist bereits dunkel im Frankfurter Bahnhofsviertel, als zehn junge Menschen die Straße entlang gehen, im Gänsemarsch an Dönerbuden, Baustellen und Blumengeschäften vorbei. Wie auf Kommando bleiben sie alle paar Minuten gleichzeitig stehen, halten sich zunächst das eine Ohr zu, dann das andere. Ein Kioskbesitzer winkt seinen Kollegen zu sich ans Fenster, um ihm das Spektakel zu zeigen. „Es war faszinierend zu erleben, wie viele Geräusche uns täglich umgeben, wie laut sie sind und wie unterschiedlich sie sich anhören“, sagt Rebecca Ullrich, 26, Absolventin des Mannheim Master in Management. „Aber ich bin froh, dass wir den Audio-Walk erst am Ende des Bronnbacher Jahres gemacht haben. Früher wäre es mir unangenehm gewesen, so viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.“
Sich überwinden, an die eigenen Grenzen gehen – das ist für Rebecca Ullrich inzwischen selbstverständlich geworden. Sie ist Stipendiatin des Bronnbacher Stipendiums, einem Förderprojekt des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft, das Studierenden und Promovierenden der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften künstlerische Prozesse näherbringen und sie für neue Denkweisen und Perspektiven öffnen will. An neun Themen-Wochenenden treffen die Stipendiaten eines Jahrgangs, Studierende und Neu-Absolventen der Universität Mannheim und des Karlsruher Instituts für Technologie, auf Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Branchen – von Literatur und Malerei bis zu Tanz und Musik. Theorie pauken steht nicht im Fokus. Stattdessen sollen die Stipendiatinnen und Stipendiaten erleben, was es heißt, selbst Kunst zu schaffen.
An ihrem letzten Wochenende treffen die Stipendiaten in Frankfurt auf Hannes Seidl, Komponist für Neue Musik. „Wir schaffen es natürlich nicht, an einem Wochenende ein ganzes Stück zu komponieren“, sagt Seidl. „Die Stipendiatinnen und Stipendiaten bekommen aber ein Bewusstsein für Alltagsklänge und einen Einblick in den Prozess des Komponierens.“ Nach einer kurzen Einführung ins Thema ziehen sie einzeln durch Straßen und Geschäfte, um Tonmaterial zu sammeln. Sobald in der Nähe ein Rollkoffer über die Bordsteinkante schleift, ein Fotokopierer heult oder eine Lüftung summt, eilen sie herbei, um das Geräusch mit ihrem Handy aufzunehmen. Zurück im Quartier diskutieren sie die Aufnahmen, schneiden sie zurecht und ordnen sie neu an: Sie erschaffen eine Komposition aus typischen Stadtgeräuschen.
Was solche Erfahrungen bei den Stipendiaten bewirken, das untersucht Charlotte Rauth gerade in ihrer Masterarbeit an der Universität Hildesheim. Sie ist selbst Alumna des Bronnbacher Stipendiums und möchte überprüfen, ob es seine Ziele tatsächlich erreicht. „Ich bin zwar noch in der Anfangsphase, aber es ist schon jetzt erstaunlich, was viele Alumni berichten. Sie haben das Gefühl, durch den Austausch mit den Künstlern und der Gruppe kreativer, eigenständiger und empathischer geworden zu sein“, sagt Rauth. „Und dass sie Probleme im Beruf ganz anders angehen.“
Nicht alles planen zu können, auch einmal zu scheitern – das ist für viele Stipendiaten eine der wichtigsten Erfahrungen während des Bronnbacher Jahres. „Als ich beim Malereiwochenende vor einer leeren Leinwand stand und einfach nicht weiterkam, war das für mich ein fast schmerzhafter Moment“, sagt Christoph-Donatus Sander, Unternehmensjurist-Absolvent der Uni Mannheim und Rechtsreferendar. „Aber seitdem lasse ich mich wertfreier auf neue Situationen ein.“ Rebecca Ullrich, die inzwischen bei einem Frankfurter Start-up arbeitet, hat das Stipendium dabei geholfen, ihre Stärken und Schwächen besser kennen zu lernen: „Dass uns das Stipendium einen geschützten Raum bietet, in dem wir uns einfach ausprobieren können, fand ich wahnsinnig wertvoll.“
Text: Linda Schädler / April 2018