Wie kam es zur Neugründung Wirtschaftshochschule Mannheim vor 75 Jahren?
Eichfelder: Die 1907 gegründete Handelshochschule war 1933 nach der Machtübernahme durch die Nazis aufgelöst und als Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät in die Universität Heidelberg integriert worden. Nach Kriegsende war in Heidelberg dieser betriebswirtschaftliche Teil, der ursprünglich zur Handelshochschule Mannheim gehörte, nicht mehr gewünscht, weil er im Gegensatz zu den anderen Heidelberger Studiengängen nicht als „rein wissenschaftlich“ galt. Zusätzlich hatte man auf Landesseite das Gefühl, dass man Mannheim etwas zurückgeben müsse. Hier kam Franz Schnabel, gebürtiger Mannheimer und damaliger Landesdirektor für Kultus und Unterricht, ins Spiel. Er setzte sich sehr dafür ein, dass dieser Teil wieder zurück nach Mannheim kam.
Borgstedt: Ja, Franz Schnabel hat da richtig viel Energie reingesteckt. Er hat als Historiker auch allererste Lehrveranstaltungen angeboten, obwohl er ja eigentlich Kultusminister war. Außerdem war er in Heidelberg auch Wohnnachbar von Walter Waffenschmidt, dem Mannheimer Gründungsrektor. Die beiden kannten sich und das erklärt die enge Verbindung und das Dreigestirn, als das sie gemeinsam mit dem Mannheimer Oberbürgermeister Josef Braun dann auch die Eröffnungsveranstaltung der neugegründeten Wirtschaftshochschule durchgeführt haben.
Gassert: Und dass die ehemalige Handelshochschule als Wirtschaftshochschule neubegründet wurde, hatte für die Stadt ganz praktische Gründe. Damit war sie eine staatliche Institution, für die auch der Staat zahlt. Die ursprüngliche Wirtschaftshochschule war von der Stadt getragen worden.
Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine in der 75-jährigen Geschichte der heutigen Universität Mannheim?
Gassert: Da kann man vier Jahreszahlen nennen. 1946 wird die Institution begründet. 1967 wird die damalige Wirtschaftshochschule zur Universität erhoben. Das geschieht zum einen im Zuge einer allgemeinen Bildungsexpansion. Zu jener Zeit wurden mehrere Universitäten geschaffen – wie auch Konstanz, Ulm, Stuttgart, Karlsruhe oder Hohenheim. Es zeigt zum anderen aber auch, dass wir nicht mehr nur eine Institution sind, die Betriebswirte beziehungsweise Handelslehrer praktisch ausbildet, sondern dass mit den Sozialwissenschaften und der Volkswirtschaftslehre, auch den Sprach- und Geisteswissenschaften sowie der Jura, in den 60er-Jahren große forschungsorientierte Bereiche dazugekommen sind.
1999 tritt eine neue Grundordnung in Kraft. Diese neue Grundordnung bedeutet, dass die Universität Mannheim nicht mehr am verlängerten Arm des Ministeriums hängt, denn rechtlich ändert sich etwas: Die Hochschulautonomie wird eingeführt. 1999 ist auch deshalb so wichtig, weil Mannheim die erste Universität in Baden-Württemberg ist, die mit der Grundordnung die Autonomie erreicht. Und an dem Mannheimer Modell haben sich alle anderen baden-württembergischen Universitäten orientiert.
Von 2005 bis 2007 prägte dann der große Universitätsstreit die Institution. Das war eine tiefe Krise, die sehr stark unsere – die philosophische – Fakultät betroffen hat, in dem aber klar gemacht wurde, wofür die Universität Mannheim inhaltlich steht. Das war ein Prozess der Profilschärfung, in dem es viel Gegenwind auch aus der Professorenschaft gab. Rückblickend war es richtig – und das sage ich als noch amtierender Dekan der Philosophischen Fakultät. Wegen dieser Profilschärfung stehen wir heute so gut da, wie wir dastehen.
Gab es neben dem Streit um die Profilbildung weitere Herausforderungen im Lauf der Zeit?
Borgstedt: Es gab zwei Situationen in der Anfangszeit, da war gar nicht klar, ob das „Kind“ tatsächlich überlebt. Das eine waren Diskussionen über eine Zusammenlegung mit Karlsruhe. Etwas später war nicht sicher, ob die Stadt überhaupt noch Interesse daran hatte, an dieser Wirtschaftshochschule und dem Standort festzuhalten.
Außerdem gab es am Anfang ganz praktische Herausforderungen: Wo bringen wir die Einrichtung überhaupt unter?Das waren zunächst wirklich Provisorien, bis man 1955 in einen Teil des wieder aufgebauten Schlosses ziehen konnte. Wo sollten die Studierenden wohnen? Wo kriegen wir Personal her? Man brauchte Leute, aber wo sollte man Unbelastete hernehmen? Das sieht man im Grunde bis in die 50er-Jahre hinein, da gab es meist nur Zweierlisten bei Besetzungen, weil man schlicht und einfach nicht mehr Bewerber hatte.
Eichfelder: Zu den Schwierigkeiten in der Anfangszeit habe ich auch zwei kleine Anekdoten. Der erste Nachkriegsrektor Waffenschmidt zum Beispiel hat seiner Sekretärin als Sekretariat ein Zimmer in seinem Privathaus angeboten, weil es nicht möglich war, Heizkohle zu bekommen. Er hat also gesagt: „Ich setze Sie in mein Privathaus, damit Sie nicht kalt sitzen müssen für Ihre Dienstaufgaben.“ Und eine zweite Sache war, dass in der Wiederaufbauzeit jeder Studierende auch Arbeitsstunden ableisten musste für die Hochschule, als Wiederaufbauhilfe.
Die Uni war ja eine Wirtschaftshochschule und ist immer noch eine Universität mit Schwerpunkt auf Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Welche Rolle spielten und spielen auch die anderen Fächer für das Profil der Universität?
Gassert: Die sind zentral geworden und das unterscheidet die heutige Universität von der Wirtschaftshochschule, die 1946 gegründet wurde. Auch wenn es von Anfang an einen Lehrstuhl für Philosophie gab, weil es hieß: „Wenn wir hier Kaufleute ausbilden, dann sollen die auch eine gewisse Grundausbildung in anderen Bereichen haben, die sollen Sprachen, Geographie, Geschichte und bisschen Philosophie und so etwas können.“ Sie sollten also breit gebildet sein und „denken können“, so Gründungsrektor Waffenschmidt. Aber heute ist diese Universität eine, die sich die Erforschung der Gesellschaft in ihrer Breite zur Aufgabe gemacht hat. Daher auch der Titel der Festschrift. Es ist längst mehr als eine große Wirtschaftshochschule, das zeigt sich in den Strukturen. Wenn man den englischen Begriff nimmt, könnte man sagen, 1946 waren wir eine Business School. Darüber sind wir weit hinausgewachsen, das hängt mit der Expansion in den 60er-Jahren zusammen, als Sozialwissenschaften, Recht, Sprachen und Geisteswissenschaften hinzukamen. Wir sind eine Universität für die Gesellschaft geworden.
Interview: Katja Bauer & Dr. Maartje Koschorreck / April 2022
Bei Interesse kann „Eine Universität für die Gesellschaft. 75 Jahre Neubegründung Wirtschaftshochschule und Universität Mannheim“ beim Verlag regionalkultur bezogen werden.