Entscheiden Industriekaufleute, welchen Lieferanten sie auswählen, stehen ihnen meist verschiedene Optionen frei: Sie können den besonders günstigen Lieferanten wählen, einen, der regional angesiedelt und dadurch schnell erreichbar ist – oder einen bewährten, der in der Branche als besonders zuverlässig gilt. Für solch eine Entscheidung steht im Alltag häufig nur wenig Zeit zur Verfügung. Um angehende Kaufleute auf solche und ähnliche Herausforderungen des Berufsalltags besser vorzubereiten, werden Forscherinnen und Forscher von der Universität Mannheim eine digitale Lernumgebung entwickeln und erproben. Mithilfe eines computerbasierten Systems können künftig authentische Szenarien aus dem Berufsalltag bereits in der Ausbildung bearbeitet werden.
„Problemlöseanalytik in Bürosimulationen“ heißt das von Mannheimer Wirtschaftspädagogen geplante System. Der Forschungsverbund wird durch Prof. Dr. Andreas Rausch koordiniert, zudem sind die Professoren Dr. Viola Deutscher und Dr. Jürgen Seifried beteiligt. Das BMBF fördert das Projekt für die Dauer von drei Jahren mit insgesamt zwei Millionen Euro, davon 1,7 Millionen Euro am Standort Mannheim und 0,3 Millionen Euro an der Universität Duisburg-Essen.
„Wir geben den Lehrkräften ein digitales Tool an die Hand, mit dem sie ihren Unterricht nach eigenen Vorstellungen erweitern und Schülerinnen und Schüler individuell fördern können“, erklärt Rausch. Zwar wurden bereits in der Vergangenheit Simulationen in der Berufsausbildung eingesetzt. Die neue Methode bietet jedoch zusätzliche Funktionen, die sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden Vorteile bieten. Dazu gehört unter anderem Diagnostik in Echtzeit: Lehrende oder Ausbilder können schon während des Lernprozesses sehen, woran ihre Schülerinnen und Schüler gerade arbeiten – und bei Bedarf Feedback geben oder aus der Klemme helfen. Ein weiterer Vorteil der neuen Software: Die Auswertung der Problemlösung wird teilautomatisiert sein.
Zum Projekt gehören auch Workshop-Angebote für interessierte Praktiker in Schulen, Betrieben und Universitäten. „Seitens der kaufmännischen Schulen ist das Interesse sehr groß“, so Rausch. Am Ende der Entwicklungsphase wird die Software in großem Stil an Schulen eingesetzt und evaluiert.
Die Mannheimer Forscherinnen und Forscher wollen das neuartige System schließlich als so genannte Open Source offen und kostenfrei zur Verfügung stellen. Lehrkräfte können dann selbst entscheiden, wie sie die Software einsetzen wollen. Idealerweise würden Landesministerien das neue Tool in ausgewählten Ausbildungsberufen sogar als festen Bestandteil des Curriculums aufnehmen. „Das System könnte aber auch an Universitäten helfen, Theorie und Praxis im Studium noch stärker zu verknüpfen“, sind die Forschenden überzeugt.
Text: Yvonne Kaul / Oktober 2019