„Fehlende Steuermoral ist vor allem in Südosteuropa ein ernstes Problem“
Der Mannheimer Professor für Steuerlehre Dr. Philipp Dörrenberg hat in Slowenien den Einfluss von Steuer-Appellen und anderen Maßnahmen auf Steuerzahlungen und Steuerhinterziehung von Unternehmen erforscht. Im Gespräch mit dem FORUM Magazin erklärt er, ob sich die Bereitschaft zur Zahlung von Steuern in Slowenien verändert hat und das Konzept auch in Deutschland anwendbar wäre.
FORUM: Dass Firmen Steuern hinterziehen, ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein moralisches Problem. Sie glauben, dass man in bestimmten Ländern genau da ansetzen muss, um Unternehmen dazu zu bewegen, ihre Steuern zu zahlen – bei der Steuermoral. Wieso?
Dörrenberg: Bei einem Besuch der Europäischen Kommission in Brüssel kam ich mit Vertretern der Steuerbehörden aus Slowenien und Bulgarien ins Gespräch. Beide Länder klagen über Probleme mit Steuerhinterziehungen – sie vermuten, dass ein signifikanter Teil der Löhne „unter dem Tisch“ und dabei vorbei am Fiskus und den Sozialversicherungssystemen gezahlt wird. Angesichts kostspieliger Betriebsprüfungen sind beide Länder an kostengünstigeren Alternativen interessiert. In Feldexperimenten haben wir bei kleinen slowenischen Firmen untersucht, ob ein Brief mit einem moralischen Appell ihre Steuermoral verbessert und sie eher bereit sind, Steuern zu zahlen.
FORUM: Was ist Ihr Ergebnis?
Dörrenberg: Der Brief enthielt die Erinnerung, dass die Zahlung von Steuern eine Pflicht ist und mit diesem Geld das öffentliche Leben wie Schulen und Infrastruktur finanziert wird. Außerdem gab es Hinweise auf Steuerprüfungen, die in der nächsten Zeit durchgeführt werden sollten. Dieser Brief wurde einer Gruppe per Post zugestellt, einer anderen persönlich und auch vorgelesen. Außerdem gab es einen „Placebo“-Brief, in dem keine moralischen Appelle enthalten waren. In der Gruppe mit der persönlichen Zustellung finden wir, im Vergleich zu den anderen Briefen, Hinweise auf eine vermehrte Bereitschaft von Steuerzahlungen.
FORUM: Wäre das dann nicht auch etwas für deutsche Finanzämter?
Dörrenberg: Ich bin vorsichtig, solche Kontexte zu übertragen oder zu verallgemeinern. Der spezifische Kontext unserer Untersuchungen ist sicherlich wichtig. Auch das Überraschungsmoment darf nicht unterschätzt werden. Beim zehnten, persönlich überbrachten Brief, entfällt der Effekt vielleicht. In anderen Kontexten könnten Firmen auch verstimmt sein und sich denken, jetzt täuschen wir erst recht. Außerdem ist es eine Frage der Kosten, denn die Briefboten müssen bezahlt werden. In Slowenien, mit seinen gerade mal zwei Millionen Einwohnern, konnten wir hingegen eine Kosteneffizienz nachweisen.
FORUM: In einem aktuellen Projekt beschäftigten Sie sich mit der Rolle von Steuern auf das Verhalten von Anlegern. Dazu untersuchen Sie einen Datensatz von Banken mit dem Anlageverhalten von rund 100.000 privaten Investoren.
Dörrenberg: Seit 2009 müssen Anleger in Deutschland eine Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf ihre Aktiengewinne zahlen – unabhängig von der Haltedauer. Wenn die Aktien vor 2009 frühestens nach einem Jahr verkauft wurden, waren die Gewinne steuerfrei. Vor der Reform sehen wir in den Daten einen rapiden Anstieg der Verkaufswahrscheinlichkeit von gewinnträchtigen Aktien nach Ablauf der einjährigen Haltedauer. Diese „Diskontinuität“ sehen wir nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht mehr. Die Leute halten länger ihre gewinnträchtigen Aktien und das bringt den Anlegern unter Umständen höhere Gewinne über den Zeitverlauf ein. Die Anleger reagieren also stark auf Steuern.
FORUM: Das komplexe deutsche Steuersystem wird von vielen stark kritisiert. Man verliere schnell den Überblick. Eine Vereinfachung wird deshalb seit Jahren gefordert. Würden Sie diese begrüßen?
Dörrenberg: Steuerkomplexität ist häufig eine einseitige Debatte. Viele Ökonomen und Journalisten fordern eine Vereinfachung. Es gibt aber durchaus auch Gründe, warum wir Ausnahmen in unserem Steuersystem haben und Dinge steuerlich absetzbar sind. Dies sind Effizienz- und auch Fairnessgründe, die dem Streben nach Steuervereinfachung unter Umständen entgegenstehen. Die berühmte Bierdeckel-Idee von Friedrich Merz 2008 hat an Charme nichts verloren, lässt aber einige Gesichtspunkte außen vor. Genau mit diesen Punkten beschäftige ich mich in einem weiteren Forschungsprojekt.
FORUM: Um was geht es dabei?
Dörrenberg: Wir haben zum Beispiel folgendes Szenario entwickelt: Jemand pflegt einen Angehörigen. Unsere Versuchspersonen sollten angeben, ob die pflegende Person aufgrund der besonderen Lebensumstände weniger Steuern zahlen sollte als eine vergleichbare Person, die keinen Angehörigen pflegt. Die Mehrheit entschied sich für eine Verringerung der Steuerlast für den Pflegenden. Durch weitere Fragen stellten wir fest, dass gerade die Personen, die für eine Verringerung des Steuersystems sind, gleichzeitig auch zu den Verfechtern der Steuerreduktion für den Pflegenden sind. Und da zeigt sich ein Widerspruch: Die Steuerbevorteilung für einzelne Personen lässt sich nur durch Ausnahmeregelungen und Steuerabzüge erreichen, die dann wiederum einen gewissen Grad an Komplexität mit sich bringen. Diese Erkenntnis ist aber nicht so weit verbreitet.
Interview: Luisa Gebhardt / Oktober 2019