Als Studierende noch als Straßenbahnfahrer ihr Geld verdienten

Nach dem Ende ihres Studiums halten viele der Mannheimer Alumni Kontakt zu ihrer alten Universität. Seiner Alma Mater nach 50 Jahren noch einen Besuch abzustatten – das kann jedoch nicht jeder von sich behaupten. In diesem Jahr hat eine Gruppe ehemaliger Studierenden im Alter zwischen 70 und 80 Jahren genau das getan.

Ein Freitagnachmittag im Ehrenhof: Besucher spazieren bei sonnigem Wetter über die Pflastersteine. Im Schatten, den das Schloss vor sich wirft, steht eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren. Wer es nicht besser weiß, würde eine der etlichen Touristen­gruppen vermuten, die sich fast täglich vor Mannheims beeindruckender Kulisse fotografieren lassen. Diese Gäste sind jedoch ganz besondere – ehemalige Studierende der Universität, die in den 60er und 70er Jahren ihren Abschluss machten. Kennengelernt haben sie sich in der Evangelischen Hochschul­gemeinde, in der sie alle aktiv waren. Seit 20 Jahren treffen sie sich, mittlerweile sogar jährlich.

Der Norweger Per Knudsen, ehrenamtliches ABSOLVENTUM-Vorstands­mitglied, führt die Gruppe durch ihre Alma Mater, die so ganz anders ist als noch vor Jahrzehnten. „Wir besichtigen verschiedene Teile des Schlosses, auch die neue Unibibliothek im Schneckenhof. Zu ihrer Zeit war das noch die Mensa“, erklärt Knudsen den Alumni das Programm. Angereist sind die meisten aus der Nähe wie Karlsruhe und Frankfurt, aber auch aus der Lüneburger Heide oder Köln. Manch einer hat seiner früheren Studentenheimat in den vergangenen 50 Jahren einen Besuch abgestattet, aber nicht unbedingt der Universität.

Vieles hat sich für die knapp 20 Alumni verändert und sie schwelgen in Erinnerungen: frühere Professoren, Partys im Schneckenhof und der freitägliche Fisch in der Mensa als Relikt aus Zeiten, in denen es viele Norweger nach Mannheim zog. Trotz des hohen Alters wirkt die Gruppe fit, die Mehrheit nimmt ohne Probleme die Treppenstufen auf dem Weg hoch in die Hasso-Plattner-Bibliothek im Mittelbau des Schlosses. „Es ist schön mit anzusehen, wie die Truppe an diesem Wochenende aufblüht und lebhaft diskutiert. Und das trotz des Alters und so langer Zeit nach dem Abschluss“, sagt die Frau eines Teilnehmers.

Einer der Alumni ist über 80 Jahre alt und lässt es sich trotz Alters und Wohnsitzes in Madrid nicht nehmen, zu den Treffen anzureisen. Er erinnert sich daran, dass er sich als Mitglied des AStA-Vorstandes in den 50er Jahren für ein Mitspracherecht der Studierenden in universitären Angelegenheiten einsetzte. „Und das schon vor der 68er Bewegung“, fügt er stolz hinzu. Wie die meisten der Mitglieder der Gruppe machte er seinen Abschluss an der damaligen Wirtschafts­hochschule, die erst 1967 zur Universität umbenannt wurde. „Ich habe damals noch unter Prof. Dr. Walter Waffenschmidt studiert, dem ersten Nachkriegsrektor. Das können heute nicht mehr viele von sich sagen“, erinnert sich der Alumnus. Waffenschmidt gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Wirtschafts­wissenschaften und war maßgeblich am Wiederaufbau der Wirtschafts­hochschule im Jahr 1946 beteiligt.

Beim Blick aus den Fenstern der Bibliothek werden weitere Erinnerungen wach. „Gibt es denn noch Studierende als Straßenbahnfahrer?“, fragt einer der Absolventen. Als Studierende seien er und eine Frau aus der Gruppe dieser Tätigkeit nachgegangen. Für den heutigen Wirtschafts­journalisten ein ganz normaler Studentenjob. Dann geht es für die Gruppe weiter in Richtung Schneckenhof. Am Abend wollen sich die Alumni in der „Goldenen Gans“ in der Nähe vom Hauptbahnhof treffen. Für viele etwas Besonderes, denn das Hotel gab es schon zu ihrer Studien­zeit. „Im Vergleich zu den norwegischen waren deutsche Studierende eher selten dort, denn auch wenn die Mahlzeiten günstig waren, wurde das Abendessen in den 1960er Jahren mit den Eltern zu Hause eingenommen“, erzählt Per Knudsen. „Und dabei neidisch an die Freiheiten der Studierenden aus Norwegen gedacht.“

Text: Luisa Gebhardt / Oktober 2019