Ein Wiedersehen mit ... Dominik Winterling

Es ist das Jahr 2005 und Dominik Winterling überquert eilig den Ehrenhof, um seine Kurse in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst pünktlich zu erreichen. Den kurzen, inzwischen vertrauten Weg zwischen den beiden ehrwürdigen Bauten legt er in wenigen Minuten zurück – statt Zahlen und Marketingmethoden schwirren dem angehenden Konzertpianisten im BWL-Studium gleich Notenschlüssel, Musiktheorie und Harmonielehre durch den Kopf. Fast zwei Jahrzehnte später sind es noch immer diese beiden Leidenschaften, die Winterlings Leben bestimmen: Nach einer Anstellung beim „Heidelberger Frühling“ und bei der Elbphilharmonie, verbindet er als heutiger Managing Director des Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam auch weiterhin die Welt der Betriebs­wirtschaft mit der der Musik.

Alles begann, als Winterling gerade fünf Jahre alt war. Damals begann er gemeinsam mit seiner Mutter mit Klavier­unterricht und entdeckte nicht nur sein Talent für den Umgang mit dem Tasteninstrument, sondern auch seine Leidenschaft für die klassische Musik und den Gesang. Der Funke war schnell entzündet und noch schneller war klar, dass der gebürtige Niederbayer nach der Grundschule ein spezielles Musikgymnasium besuchen sollte. Die Wahl fiel auf das Internat der Regensburger Domspatzen, wo Winterling bis zu seinem Abitur blieb. Während seiner Zeit beim ältesten Knabenchor der Welt bereiste er unzählige Länder: Auf internationalen Tourneen, die stets im Sommer stattfanden, gaben die Domspatzen unter anderem Konzerte in Japan, Hongkong und Korea. An die aufregende und abwechslungs­reiche Zeit in Regensburg – und der Welt – erinnert sich Winterling noch heute gerne.

Nach einem Auslands­jahr in England, seinem Schul­abschluss und dem Militärdienst entschied sich Winterling schließlich für ein betriebs­wirtschaft­liches Studium an der Universität Mannheim. 

„Bei der Wahl war sicher auch meine Herkunft ausschlaggebend: Meine Familie betreibt seit mehreren Generationen ein Familien­unternehmen, daher war mir die Materie der Betriebs­wirtschaft nicht fremd und mir waren auch die vielfältigen Möglichkeiten bewusst, die mit einem Studium der BWL einher gingen.“ Im Rückblick ist Winterling mit seiner Entscheidung, nach Mannheim zu gehen, noch immer sehr glücklich, was sich auch an seiner langjährigen Mitgliedschaft bei ABSOLVENTUM zeigt. Das Studium habe ihn nicht nur auf sein späteres Arbeits­leben vorbereitet, vor allem auch die Möglichkeit, durch den interdisziplinären Ansatz der Universität über den Tellerrand zu schauen, fand er stets sehr inspirierend. Beim sogenannten „BWL mit IQ“-Studien­gang – ähnlich wie beim heutigen „Bachelor Kultur und Wirtschaft“ steht das IQ für Interkulturelle Qualifikation – eröffnete sich für Winterling die Möglichkeit, Französisch zu studieren und Kurse aus den verschiedensten Fach­richtungen zu belegen. Auch das Doppeldiplom­programm der Universität Mannheim mit der ESSEC in Cergy-Pontoise absolvierte Winterling während seines Studiums. Es war diese Vielseitigkeit, die er besonders schätzte. Und vielseitig sollte es weiter gehen: Nach dem ersten Semester fehlte dem Wahl-Mannheimer die Musik so sehr, dass er allen Widrigkeiten zum Trotz eine Ausbildung zum Konzertpianisten an der Musikhochschule aufnahm. Denn Winterling war einer der Ersten, der ein Studium an der Universität Mannheim mit einer Ausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst verband. 

Dass der Doppel­abschluss viel Arbeit war, verheimlicht er nicht. Das Üben für die Ausbildung zum Konzertpianisten war für Winterling jedoch glücklicherweise weniger Verpflichtung als vielmehr Hobby, sodass er mit großem Spaß weiter seiner größten Leidenschaft nachgehen konnte. Auch empfand er es als sehr bereichernd, in diesen beiden doch so unterschiedlichen Welten leben zu dürfen. Denn dies war für Winterling schon früh von zentraler Wichtigkeit: Einen Beruf zu finden, der den eigenen Interessen und Vorlieben entspricht und mit dem eine Identifizierung möglich ist – dann kommen Freude, Engagement und Motivation von ganz allein und mit ihnen: Erfolg. „Mir war immer klar, dass ich irgendetwas mit Musik machen möchte. Aber dort wirklich Karriere zu machen, ist nur wenigen vorenthalten. Daher war die Kombination aus Musik und BWL perfekt,“ erzählt Winterling.

Die Betriebs­wirtschaft mit der Arbeit in der Musikbranche zu verknüpfen, gelang ihm beim Berufseinstieg direkt: Nach seinem Abschluss im Jahr 2006 stieg er beim  internationalen Musikfestival „Heidelberger Frühling“ ein, wo er sich von Grund auf mit der Entwicklung einer Marketing- und Kommunikations­strategie und der Einführung des Controllings befassen durfte, bevor er nach zwei Jahren  die Programmplanung übernahm. Von der Chance, das künstlerische Profil des Heidelberger Frühlings mitzugestalten und eng mit Musikern und Musikerinnen aus der ganzen Welt zusammen arbeiten zu können, profitiert Winterling noch heute. „Damals habe ich Menschen kennen gelernt, die mir in Amsterdam auch jetzt noch regelmäßig über den Weg laufen. Ich habe nicht nur wahnsinnig viel gelernt, ich würde auch sagen, dass meine Tätigkeit beim „Heidelberger Frühling“ der Beginn von allem war – auch von dem Netzwerk, dass ich mir über meinen bisherigen Karriereweg aufgebaut habe.“

Doch zwischen seiner heutigen Tätigkeit in Amsterdam und der Anstellung in Heidelberg zog es Winterling zunächst für einige Jahre nach Hamburg. Dort sah sich die damals noch nicht fertig gestellte Elbphilharmonie gerade stark der Kritik ausgesetzt. Eine Kritik, die Winterling zwar nachvollziehen konnte, der er aber stets mit einer positiven Überzeugung gegenüberstand: „Mir war immer klar, dass die Elbphilharmonie trotz all der Unwegsamkeit ein riesiger Erfolg werden wird, denn das Konzept war meiner Meinung nach spektakulär.“ Diese Gewissheit machte ihm die Entscheidung, als Geschäftsführer der Stiftung Elbphilharmonie und Head of Development nach Hamburg zu gehen, sehr leicht. Nichtsdestotrotz beschreibt Winterling die zwei Jahre bis zur Eröffnung, in der nicht nur langfristige Sponsoren und Spender zu gewinnen waren, sondern auch eine komplette Spielzeit vorbereitet werden musste, als „intensiven, aber lehr­reichen Wettlauf gegen die Zeit“ – der schließlich von Erfolg gekrönt wurde.

Dieser Erfolg blieb nicht unbemerkt, weswegen Dominik Winterling inmitten der Pandemie von einem Headh­unter kontaktiert wurde, der ihn für das Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam gewinnen wollte. „Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon ganz schön Respekt davor. Aber nichts im Leben ist ohne Risiko und gerade die großen Herausforderungen bringen uns voran.“ Voran bringt Winterling als Managing Director nun vor allem das unter der Schirmherrschaft der Königin der Niederlande stehende Orchester. Hier ist er zuständig für die strategische Ausrichtung eines der besten Symphonieorchester der Welt, einschliesslich spannender Projekte im Bereich der Musikvermittlung für Kinder oder auch sogenannter „Crossover-Projekte“, die sich von den klassischen Konzerten des Orchesters unterscheiden. Sein Ziel ist es, das kulturelle Erbe zu bewahren, die klassische Musik jedoch gleichzeitig in das Heute überzuleiten  und sie für breite Ziel­gruppen zugänglicher zu machen – sei es durch öffentliche Open-Air-Konzerte oder interessante Workshops. Dabei hilft es dem Diplom-Betriebs­wirt, auch stets die Bedürfnisse des Unternehmens und der Sponsoren aus betriebs­wirtschaft­licher Sicht im Blick behalten und diese ideal mit der künstlerischen Zielsetzung verknüpfen zu können. Auch bei der Organisation der Tournee des Royal Concertgebouw Orchestra arbeitet Winterling mit und begleitet diese in verschiedenste Länder und Konzerthallen der Welt, unter anderem nach Amerika die Vereinigten Arabischen Emirate, Japan und Korea. Für die Zukunft wünscht sich Winterling, Länder zu bereisen, in denen denen der Zugang zu klassischer Musik nicht ganz so selbstverständlich ist: „Ich könnte mir zum Beispiel Südamerika gut vorstellen. Aber das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – noch Zukunftsmusik.” 

Text. Selina Supper / Oktober 2022