Der „Koal-O-Mat“ für Thüringen: themen­spezifische Mehrheiten statt abenteuerlicher Koalitionen

Die Mannheimer Politik­wissenschaft­ler PD Dr. Christian Stecker und Dr. Thomas Däubler haben die Bündnisoptionen in Thüringen analysiert. Ihre Empfehlung: Die Parteien sollten mit wechselnden Mehrheiten regieren.

Pressemitteilung vom 29. Oktober 2019
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Das Dilemma ist offensichtlich: Keine jemals in der Bundes­republik gebildete Regierungs­koalition verfügt im künftigen Thüringer Landtag über eine Mehrheit der Sitze. Also muss ein neuer Weg her – nur welcher? Die Politik­wissenschaft­ler PD Dr. Christian Stecker und Dr. Thomas Däubler vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim haben ermittelt, wie gut die denkbaren Koalitionen in Thüringen funktionieren könnten. Als Datenbasis dient den Wissenschaft­lern die bekannte Online-Anwendung des Wahl-O-Mats: „Wir haben anhand der Antworten der Parteien auf die 38 Wahl-O-Mat-Thesen analysiert, wie groß die inhaltlichen Schnittmengen verschiedener Parteienbündnisse ausfallen. Aus dem Wahl-O-Mat entsteht so ein Koal-O-Mat“, erklärt Christian Stecker.

Selbst wenn sich eine Koalition fände – sie wäre kaum gestaltungs­fähig
Das ernüchternde Ergebnis: Selbst wenn beispielsweise die FDP über ihren Schatten spränge und einer Koalition mit Linkspartei, SPD und Grünen beitreten würde, so wäre sich dieses Viererbündnis bei nur 9 von 38 Themen einig. Falls die CDU bereit wäre, gegen ihren erklärten Willen mit der Linken zu koalieren, so wäre man sich gar in nur 7 Themen einig. Dieser Mangel an politischer Gestaltungs­fähigkeit lege bereits nahe, dass die Thüringer Verhältnisse eine andere Lösung erforderten, so die Wissenschaft­ler.

Stecker und Däubler appellieren daher an die Parteien, neue Kooperations­formen zu erproben. „Der starre Gegensatz von Regierung und Opposition ist in Deutschland eine seit Adenauer eingeübte Routine. Es ist aber kein Naturgesetz, dass sich Koalitions­partner einem absoluten Kompromisszwang unterwerfen und die Opposition bei der Suche nach Kompromissen völlig außer Acht lassen“, so Stecker und Däubler. Neben einer Minderheitsregierung nach skandinavischem Modell wären beispielsweise innovative Koalitions­abkommen wie in Neuseeland möglich, die bestimmte politische Themen vom Koalitions­zwang ausklammern und so Spielräume schaffen.

Wechselnde Mehrheiten wären bei über 90 Prozent aller Themen möglich
Am vielversprechendsten finden die Wissenschaft­ler aber das Konzept der
themen­spezifischen Mehrheiten, das für verschiedene Sachfragen auch verschiedene
Mehrheiten vorsieht. So wären in Thüringen in 35 von 38 Sachfragen wechselnde
Parlamentsmehrheiten möglich. „Zugegeben: In 21 Fällen könnte eine Mehrheit nur mit der
AfD gebildet werden – ein Szenario, das alle anderen Parteien ausgeschlossen haben und das
auch voraussetzen würde, dass die AfD prinzipiell zur konstruktiven parlamentarischen
Zusammenarbeit bereit wäre“, schränkt Christian Stecker ein. „Doch bei immerhin 14
Themen wären wechselnde Mehrheiten ohne die AfD möglich – dies bedeutet immer noch
eine deutlich größere Handlungs­fähigkeit als in einer starren Mehrheitskoalition aus Linke
und CDU oder einem Bündnis von Linke, SPD, Grünen und FDP.“

Weitere Informationen und Kontakt:
Die vollständige Analyse der Wissenschaft­ler inkl. grafischer Darstellungen steht hier zur
Verfügung: www.mzes.uni-mannheim.de/publications/misc/koalomat_th2019.html

PD Dr. Christian Stecker
Projektleiter
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2855
E-Mail: Christian.Steckermail-mzes.uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/profiles/christian-stecker

Nikolaus Hollermeier / Hannah Laumann / Jana Paasch
Presse- und Öffentlichkeits­arbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2839 / -2828 / -2840
E-Mail: mzes-kommunikationmail-uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de