Pressemitteilung vom 8. Juni 2020
Schulen und Kindergärten sind seit Wochen geschlossen, während die Wirtschaft langsam wieder hochgefahren wird. Daraus ergibt sich ein Dilemma: Das Hochfahren geht einher mit mehr Präsenzzeiten am Arbeitsplatz, die die Eltern aber oft nicht leisten können. Prof. Michèle Tertilt, Professorin für Makro- und Entwicklungsökonomie an der Universität Mannheim, untersucht zusammen mit Prof. Moritz Kuhn (Universität Bonn) und Prof. Nicola Fuchs-Schündeln (Goethe-Universität Frankfurt) die Folgen mangelnder Betreuungsangebote für Kinder und ihr Zusammenspiel mit der verfügbaren Arbeitszeit berufstätiger Eltern. Das Ergebnis: Der Anteil der Eltern, die von geschlossenen Schulen und Kindergärten betroffen ist, ist doppelt so hoch wie die Gesamtzahl der Arbeitslosen in Deutschland.
Jeder vierte Erwerbstätige hat Betreuungsprobleme
Trotz der schrittweisen Öffnungen kann in Kindergärten und Schulen von Normalität keine Rede sein. Regelunterricht findet in den meisten Bundesländern bis zu den Sommerferien nach derzeitigen Planungen erst einmal nicht statt. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies: Jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland hat Kinder bis 14 Jahre und ist daher von den Schul- und Kitaschließungen betroffen. Das entspricht den rund zehn Millionen Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes und der Bauindustrie in Deutschland. Das Forscherteam nutzt für seine Schätzungen die Daten aus dem Jahr 2018 der Arbeitskräfteerhebung der EU (AKE).
Frauen vermutlich besonders von Arbeitsausfall betroffen
Berücksichtigt man, dass beispielsweise ältere Geschwister oder ein nicht arbeitendes Elternteil die Betreuung der Kinder übernimmt, sind immer noch 20 Prozent der Erwerbstätigen von geschlossenen Schulen und Kindertagesstätten betroffen. Häufig wird das Betreuungsproblem dadurch gelöst, dass ein Elternteil zu Hause bleibt. Dann – so schätzen die Forscher – würden den Arbeitgebern elf Prozent der Erwerbstätigen fehlen. Damit ist der Anteil der von der Betreuungsnot betroffenen Eltern fast doppelt so hoch wie die derzeitige Arbeitslosenquote in Deutschland (5,8 Prozent im April 2020).
Wenn die Kinder klein sind, ist es zumeist die Mutter, die ihre Arbeitszeit reduziert. Die untersuchten Daten zeigen, dass in 82 Prozent der untersuchten Haushalte die Frau weniger arbeitet als der Mann. Berücksichtigt man die reduzierte Arbeitszeit eines Elternteils, zeigen die Forscher, dass 8,4 Prozent der geleisteten Arbeitsstunden von einem Arbeitsausfall auf Grund fehlender Kinderbetreuung betroffen wären – das entspräche dem achtfachen kurzarbeiterbedingten Stundenausfall während der Finanzkrise 2009. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung arbeitender Eltern zeigt sich hier deutlich.
„Die makroökonomischen Kosten sind gewaltig. Das ist bisher noch viel zu wenig diskutiert worden“, sagt Tertilt. „Der Familienbonus im aktuellen Konjunkturpaket hilft da eher wenig. Wichtiger wäre es, die Schulen und Kitas wieder zu öffnen, damit die Eltern wieder arbeiten können. Wenn Eltern mehr Geld verdienen, geben sie mehr aus, und die Steuereinnahmen gehen auch wieder hoch.“ Tertilt fügt hinzu: „Darüber hinaus sind Mütter wesentlich stärker als Väter betroffen. Ich erwarte daher, dass sich mittelfristig die Einkommensschere von Müttern und Vätern weiter spreizen wird.“
Link zur Studie: https://voxeu.org/article/short-run-implications-school-closures
Kontakt:
Prof. Michèle Tertilt, Ph.D.
Professur für Makro- und Entwicklungsökonomie
Universität Mannheim
Tel. +49 621 181-1902
E-Mail: tertilt uni-mannheim.de
Linda Schädler
Pressesprecherin
Universität Mannheim
Tel. +49 621 181-1434
E-Mail: schaedler uni-mannheim.de