GBP-Monitor: Trotz des Lieferkettengesetzes dominieren finanz­ielle Faktoren bei der Auswahl von Geschäftsbeziehungen – Nachhaltigkeit bleibt nachrangiges Kriterium

Bewährte Kriterien wie der Preis, die Verlässlichkeit der Zahlungs­ziele oder die Länge der Geschäftsbeziehung spielen bei Unter­nehmen nach wie vor die wichtigste Rolle bei der Auswahl ihrer Kund*innen und Lieferant*innen. Nachhaltigkeits­aspekte sind – ungeachtet des neuen Lieferkettengesetzes – klar unter­geordnet. Das belegt eine aktuelle Umfrage des German Business Panel (GBP). Die GBP-Daten belegen die insgesamt ablehnende Haltung vieler Unter­nehmen gegenüber der aktuellen Nachhaltigkeits­regulierung, dar­unter auch der neuen Standards zur Nachhaltigkeits­bericht­erstattung. Es gibt allerdings Ausnahmen: Unter­nehmen, die freiwillig über Nachhaltigkeit berichten und aus strategischen Gründen ihr Geschäfts­modell danach ausrichten, begrüßen die Regulierung.

Pressemitteilung vom 19. Juli 2024
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Im Mai 2024 hat die Europäische Union nach heftiger Kontroverse eine neue Lieferketten­richtlinie verab­schie­det, die große Unter­nehmen dazu ver­pflichtet, sich stärker für Umweltschutz und Sozial­stan­dards (Environmental, Social, Governance, ESG) einzusetzen. Mit Dokumenta­tions­pflichten soll dabei auf alle an Lieferketten beteiligten Unter­nehmen Druck ausgeübt werden, zur Einhaltung von Nachhaltigkeits­zielen bei­zu­tragen. Bis 2029 soll diese Richtlinie schrittweise umgesetzt werden.

In Deutschland gilt schon seit dem Vorjahr das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit ähnlicher Zielsetzung. Die aktuellen Daten des GBP zeigen nun, dass die damit verbundenen Erwartungen sich nur eingeschränkt erfüllen: Wenn Unter­nehmen ihre Kund*innen oder Lieferant*innen auswählen, passiert das in den meisten Fällen weiterhin auf Grundlage von harten finanz­iellen Kennzahlen wie Preis, Produkteigenschaften, Lieferungs- und Zahlungs­modalitäten. Diesen Kriterien wird laut der GBP-Umfrage die höchste Relevanz beigemessen. Nicht-finanz­ielle Kennzahlen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit rangieren dagegen ganz unten auf der Liste. Die Ergebnisse gelten sowohl für große Unter­nehmen, die ihre ESG-Performance offenlegen müssen, als auch für kleinere Unter­nehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten, die dazu nicht verpflichtet sind.

Allein Unter­nehmen, die für ihr eigenes Geschäfts­modell einen Fokus auf ESG-Faktoren in Anspruch nehmen und daher strategisch verankerte Nachhaltigkeits­ziele haben, sind dazu bereit, ihre Bemühungen in Bezug auf Umwelt und Soziales zu erhöhen und ihre Lieferketten entsprechend anzupassen. Dar­unter fallen insbesondere Unter­nehmen, die auch in reale Umwelt- und Klimaschutz­maßnahmen investieren, zum Beispiel durch eine Verringerung ihrer eigenen Emissionen.

„Die vielen bürokratischen Pflichten, die für Lieferketten eingeführt wurden, ändern offensichtlich wenig daran, dass Unter­nehmen bei der Auswahl ihrer Geschäftsbeziehungen kaum bereit sind, ihre gewohnten Geschäftsabläufe aus Rücksicht auf gesellschaft­liche Ziele umzustellen. In zu vielen Fällen ist die Umsetzung des Gesetzes eine reine Compliance-Übung ohne realen Einfluss auf Nachhaltigkeits­ziele“, sagt Prof. Dr. Jannis Bischof, Inhaber des Lehr­stuhls für ABWL und Unter­nehmens­rechnung an der Universität Mannheim und wissenschaft­licher Projektleiter des GBP.

Mit der negativen Bewertung der Regulierung von Lieferketten geht einher, dass die meisten Unter­nehmen die neuen verpflichtend eingeführten Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) zur Nachhaltigkeits­bericht­erstattung „eher negativ“ oder „sehr negativ“ bewerten: Bei Unter­nehmen ohne ESG-Fokus liegt dieser Anteil bei 56 Prozent und selbst bei Un­ter­nehmen mit ESG-Fokus stimmen 39,2 Prozent dieser Aussage zu. Sie bemängeln auch hier, dass die Vorgaben zu bürokratisch und zu komplex seien.

Bemerkenswerterweise schneiden die neuen Vorgaben bei den sie praktizierenden Unter­nehmen besonders schlecht ab: 59,3 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus berichten, dass der Berichtsaufwand zu hoch sei, wohingegen bei den Nicht-Anwendern dieser Anteil bei 52 Prozent liegt. 66,7 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus halten die Vorgaben für zu komplex und zu bürokratisch gegenüber 59 Prozent der Nicht-Anwender. „Gerade diejenigen, die sich mit den Standards aktiv auseinandersetzt haben, scheinen also besonders kritisch zu sein“, resümiert Bischof.

Den „GBP-Monitor: Unter­nehmens­trends im Juli 2024“ finden Sie hier:  https://www.accounting-for-transparency.de/wp-content/uploads/2024/07/gbp_monitor_2024_07.pdf

Weitere Informationen zum GBP-Monitor
Das German Business Panel befragt monatlich mehr als 800 Unter­nehmen und seit März 2024 mehr als 250 Wissenschaft­ler*innen zur Unter­nehmens­lage in Deutschland und erhebt dabei Daten zu 1) erwarteten Umsatz-, Gewinn- und Investitions­änderungen, 2) unter­nehmerischen Entscheidungen, 3) der erwarteten Schließungs­rate in der Branche und 4) der Zufriedenheit mit der Wirtschafspolitik. Zudem wird alle drei Monate zu besonders aktuellen Fragen berichtet.

Hintergrund­informationen zum German Business Panel
Das German Business Panel ist ein langfristiges Befragungs­panel des DFG-geförderten überregionalen Projektes „Accounting for Trans­parency“ (www.accounting-for-trans­parency.de). Der Sonderforschungs­bereich (SFB) „TRR 266 Accounting for Trans­parency“ startete im Juli 2019. Im Mai 2023 beschloss die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG), den SFB um zunächst weitere vier Jahre zu verlängern. Er ist der erste SFB mit betriebs­wirtschaft­lichem Schwerpunkt. Am SFB sind über 100 Wissenschaft­ler*innen von neun Universitäten beteiligt: Universität Paderborn (Sprecherhochschule), Humboldt-Universität zu Berlin und Universität Mannheim, zudem Forschende von der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der Frankfurt School of Finance & Management, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover. Die Forschenden unter­suchen, wie Rechnungs­wesen und Besteuerung die Trans­parenz von Unter­nehmen beeinflussen und wie sich Regulierungen und Unter­nehmens­trans­parenz auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken. Das Fördervolumen des SFBs beträgt rund 18 Millionen Euro.

Kontakt:
Prof. Dr. Jannis Bischof
Lehr­stuhl für ABWL und Unter­nehmens­rechnung
Universität Mannheim
Tel: +49 621 181-1630
E-Mail: jbischofmail-uni-mannheim.de

Yvonne Kaul
Forschungs­kommunikation
Universität Mannheim
Tel: +49 621 181-1266
E-Mail: kaulmail-uni-mannheim.de