Toleranz gegenüber Muslim*innen – wie lassen sich Konflikte im Alltag entschärfen?

In unserer Gesellschaft steckt mehr Toleranz gegenüber Muslim*innen, als wir manchmal sehen, sagen die Mannheimer Sozialforscher Marc Helbling und Richard Traunmüller. Gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen zeigen sie in zwei Studien, wie dieses Potenzial nutzbar wird.

Pressemitteilung vom 04. Juni  2024
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Religiöses Verhalten von Muslim*innen und Freiheiten für islamische Glaubensgemeinschaften stoßen bei nicht wenigen Menschen in Deutschland auf Vorbehalte. Beispielsweise empfinden es viele als unvereinbar mit liberalen und demokratischen Werten, wenn gläubige Muslim*innen Menschen anderen Geschlechts aus religiösen Gründen nicht die Hand schütteln möchten. Auch Vorschläge für mehr Halal-Gerichte, also für religiöse Muslim*innen geeignete Lebens­mittel im Alltag, oder Pläne für einen gesetzlichen islamischen Feiertag sehen viele Leute kritisch. Das gilt allerdings nicht unter allen Umständen gleichermaßen, wie Professor Marc Helbling und Professor Richard Traunmüller in einem Forschungs­projekt am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) herausgefunden haben: Denn wer Verhalten und Gruppen­rechte religiöser Muslime richtig einordnen kann, ist toleranter.

Beim Vorstellungs­gespräch die Hand reichen: Ein Muss – oder?

Beispiel Händeschütteln: In einer experimentellen Befragung befassten sich Helbling und Traunmüller gemeinsam mit Elisabeth Ivarsflaten von der Universität Bergen (Norwegen) und Paul M. Sniderman von der Universität Stanford (USA) mit der nicht nur hierzulande typischen Begrüßung. Erwarten wir, beispielsweise im Vorstellungs­gespräch die Hand gereicht zu bekommen? Ja, das muss sein, urteilte zunächst die große Mehrheit der 2.600 Befragten, einer repräsentativen Bevölkerungs­stichprobe. Wie aber schätzen wir so eine Situation ein, wenn Muslim*innen als respektvolle Geste stattdessen die Hand auf ihr Herz legen? Die Ergebnisse sahen in diesem Szenario deutlich anders aus: „Die Mehrheit ist bereit, diese Respektbekundung anstelle des Händereichens zu akzeptieren. Das zeigt, dass wir zwar auf Respekt bestehen, aber nicht unbedingt, dass er auf eine bestimmte Art und Weise ausgedrückt werden muss“, erklärt Marc Helbling. „Die Option, die Hand auf das Herz zu legen, haben viele Nicht-Muslim*innen nicht automatisch auf dem Schirm. Doch sie kann beiden Seiten helfen, eine Situation konfliktfrei in gegenseitigem Respekt zu lösen“, ergänzt Traunmüller.

In einer weiteren Studie wollte das Team unter anderem herausfinden, wie ein größeres Angebot an Halal-Gerichten in deutschen Kantinen wahrgenommen wird. „Wenn man betont, dass diese Angebote nicht Schweinefleischprodukte ersetzen, sondern lediglich die Palette erweitern, dann stoßen Halal-Gerichte auf deutlich weniger Ablehnung“, so die Wissenschaft­ler. Diese Logik funktioniert der Studie zufolge auch auf anderen Gebieten: Einen muslimischen gesetzlichen Feiertag können sich – vielleicht weniger überraschend – auch deutlich mehr Menschen vorstellen, wenn er keinen christlichen Feiertag ersetzen, sondern die bestehenden Feiertage ergänzen würde.

Die Toleranz ist größer, wenn Gruppen­interessen nicht als konkurrierend erscheinen

„Generell können gesellschaft­liche Konflikte entschärft werden, wenn wir deutlich machen, dass muslimische Rechte nicht in Konkurrenz mit den eigenen Gepflogenheiten stehen müssen“, fasst Traunmüller zusammen. Unter diesen Umständen sei das Potenzial für Toleranz in der Bevölkerung beträchtlich, so die Wissenschaft­ler. Allerdings sei es umso kleiner, je weiter rechts die Befragten politisch zu verorten seien. Ganz allgemein seien Menschen aber nicht bedingungs­los für oder gegen die Gruppen­rechte von Muslimen: „Von der konkreten politischen Ausgestaltung hängt es ab“, so Helbling.

Am MZES der Universität Mannheim leiten Helbling und Traunmüller unter anderem das von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) finanz­ierte Projekt „Immigration, Integration und Einbürgerung: Neuzuwanderer, Policy-Entscheidungen und Reaktionen von Staats­bürgern“, aus dem beide oben genannten Studien hervorgegangen sind.

Elisabeth Ivarsflaten, Marc Helbling, Paul Sniderman und Richard Traunmüller: Value Conflicts Revisited: Muslims, Gender Equality and Gestures of Respect. British Journal of Political Science, http://dx.doi.org/10.1017/S0007123423000637

Marc Helbling, Elisabeth Ivarsflaten und Richard Traunmüller: Zero-sum thinking and the cultural threat of Muslim religious rights, Working Paper: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4831968

Kontakt:
Prof. Dr. Marc Helbling
Arbeits­bereichs­leiter
Die europäischen Gesellschaften und ihre Integration Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-3391
marc.helblingmail-mzes.uni-mannheim.de

Nikolaus Hollermeier
Presse- und Öffentlichkeits­arbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2839
E-Mail: kommunikationmail-mzes.uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de