Porträt von Thuy Nguyen. Sie steht vor einem braunen Hintergrund, trägt ein schwarzes Jackett und lächelt in die Kamera.

„Bildung ist die Grundlage für alles“

Thuy Nguyen kommt aus Hanoi in Vietnam und hatte bereits einen Sohn im Teenageralter, als sie ihren Job aufgegeben hat, um sich ihren Traum von einem Studium in Deutschland zu erfüllen. Vor zwei Jahren zog die heute 43-Jährige dann mit ihrem Sohn nach Mannheim. Mittlerweile studiert sie im vierten Semester den Mannheim Master in Management. In ihrer myUniMA story erzählt sie, wie sie es schafft, Muttersein und Studium unter einen Hut zu bekommen und spricht über die Vor- und Nachteile, älter als ihre Mit­studierenden zu sein.

Erzähl gerne ein bisschen etwas über dich: Wo kommst du her und was hast du vor deinem Studium gemacht?

Ich bin in Vietnam geboren und aufgewachsen. Bevor ich hierherkam, hatte ich eine lange Karriere im Marketing-Bereich: Ich habe Marketing studiert und in diesem Bereich gearbeitet und wie jede andere Absolventin ganz unten angefangen. Nach einer Weile bekam ich eine Position auf C-Level in einem recht großen Konzern in Vietnam. 20 Jahre lang habe ich in verschiedenen Branchen gearbeitet. Meine Karriere verlief erfolgreich, aber dann wollte ich eine Pause machen, habe auf meinen Lebens­lauf zurückgeblickt und wollte mich auf die nächsten 20 Jahre meiner beruflichen Laufbahn vorbereiten.

Warum hast du dich dazu entschieden, deinen Job aufzugeben und nochmal zu studieren?

Für mich ging es nicht nur darum, zurück an die Universität zu gehen, sondern darum, im Ausland zu studieren. Als ich jünger war, war das immer mein Traum. Aber damals haben mir es viele Umstände – vor allem finanz­ielle – nicht erlaubt, meinen Traum zu verfolgen. Ein weiterer Grund war, dass ich meinen Horizont erweitern und eine neue Erfahrung im Leben machen wollte. Als Mutter und Tochter hatte ich immer eine Verantwortung, der ich nachkommen musste. Nach gut 15 Jahren Berufs­tätigkeit hatte ich das Gefühl, dass es Zeit für eine Veränderung war, weil ich an einem bestimmten Punkt meiner Karriere aufgehört habe, mich weiterzuentwickeln. Ich wollte endlich meinen Traum verwirklichen. Ich wusste, wenn ich es jetzt nicht tun würde, würde ich es für den Rest meines Lebens bereuen. Ein letzter Grund war, dass ich mich selbst herausfordern wollte. Ich bin jemand, der Neuem offen gegenübersteht. 

Weshalb hast du dich für die Universität Mannheim entschieden?

Das war ein langer Prozess. Das Erste, was mir klar war, war, dass es Europa sein musste. Ich bin in der Vergangenheit schon oft nach Europa gereist und wollte das Leben hier erleben. Bald wusste ich auch, dass ich gerne nach Deutschland gehen würde, weil ich die Struktur und Disziplin hier mag. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich war, dass die Bildung wirklich der Bildung dient und nicht wie in Großbritannien oder anderen englischsprach­igen Ländern dem Business. Und die Lebens­haltungs­kosten sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erschwinglich. Als ich darüber nachgedacht habe, nach Deutschland zu gehen, suchte ich nach der richtigen Universität und fand die Universität Mannheim – eine sehr gute Adresse, wenn es um Wirtschafts­wissenschaften geht. Ich habe auch das als Herausforderung an mich selbst gesehen: Die Zulassung in Mannheim ist nicht einfach. Ich musste mich wirklich anstrengen. 

Du hast bereits einen 18-jährigen Sohn. Wie schaffst du es, Muttersein und Studium unter einen Hut zu bekommen? Hast du Zeit und Lust, außerhalb von Vorlesungen und Seminaren am studentischen Leben teilzunehmen?

Ich denke, das ist eine Frage der Prioritäten. Mein Sohn ist meine Top-Priorität. Das ist meine Verantwortung, weil ich ihn aus seiner Komfortzone herausgeholt und hierhergebracht habe. Also muss ich nicht nur dafür sorgen, dass ich mich eingewöhne, sondern auch ihm dabei helfen Zum Glück ist mein Studium an der Universität Mannheim sehr flexibel. Im ersten Semester habe ich nur drei Kurse belegt, sodass ich nicht den Stress hatte, alles gleich­zeitig machen zu müssen. Ich versuche auch, den Tag zum Lernen zu nutzen und am Abend Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, mit ihm zu reden, ihn zu fragen, wie es ihm geht und so weiter. Ich habe noch einige andere Regeln. Zum Beispiel versuche ich, wenn ich eine Gruppen­arbeit habe, Besprechungen am Wochenende zu vermeiden, damit ich Zeit mit meinem Sohn verbringen kann.

Zu der Frage zum studentischen Leben: Zum Glück gibt es viele Aktivitäten, an denen ich teilnehmen kann. Ich muss auf nichts verzichten. Es gibt viele Programme und Workshops. Ich treffe mich auch gerne mit meinen Freunden. Nicht jeden Tag, aber ab und zu. Ich kann das Studentenleben genießen – in meinem eigenen Tempo.

Was gefällt dir besonders an deinem Studium?

Ich weiß, dass das Fach meine Stärke ist, aber es ist trotzdem eine große Herausforderung. Aber irgendwie mag ich die Schwierigkeit. Ich habe mich oft selbst hinterfragt und wollte aufgeben. Ich wusste, dass ein Studium in Deutschland schwer sein würde, aber ich habe nicht erwartet, dass es so schwer würde. Aber ich bin auch ein bisschen süchtig nach Herausforderungen. Das Gefühl, nachdem man eine lange Präsentation einer Gruppen­arbeit oder eine Prüfung hinter sich gebracht hat, nach draußen geht, frische Luft atmet und sagt: „Hey, noch eine ist geschafft“, ist sehr schön. Was mir auch sehr gut gefällt, ist, dass es so viele Kurse gibt und man nach den eigenen Interessen gehen kann. Das motiviert mich. Ich kann nicht nur Kurse im Bereich Marketing belegen, sondern auch in anderen Bereichen wie Betriebs­wirtschaft oder Informations­systeme. Die Qualität der Kurse und die Professor*innen sind sehr gut.

Welche Vor- und Nachteile hat es, älter als deine Mit­studierenden zu sein?

Zunächst muss ich sagen, dass die jungen Studierenden so gut sind, dass ich mich manchmal ein wenig unter Druck gesetzt fühle. Sie sind 20 Jahre jünger als ich und in vielen Bereichen sehr begabt: Sie verfügen über kritisches Denkvermögen, kennen sich in Kunst, Musik und Film aus und haben eine gute Ausbildung. Das inspiriert mich. Aber natürlich hat es auch Vorteile, älter zu sein. Ich denke, der größte Vorteil ist meine Erfahrung. Ich glaube, dass ich aufgrund meiner langjährigen Berufserfahrung eine breitere Perspektive habe. Ich weiß, wie man mit Stresssituationen umgeht, und bin es gewohnt, mehrere Aufgaben gleich­zeitig zu erledigen. Das kann aber manchmal auch eine Herausforderung sein. Ich habe das Gefühl, dass meine Gedanken oft denselben Weg gehen, denselben Pfad einschlagen. Wenn wir zum Beispiel eine Diskussion über die Gruppen­arbeit führen, muss ich mich zurückhalten und darf nicht zu voreingenommen sein. Aber ich halte das nicht für einen Nachteil. Ich sehe darin lediglich eine weitere Herausforderung für mich, die ich bewältigen muss. Ansonsten sehe ich nicht viele Nachteile.

Hast du Tipps für Menschen, die auch schon länger im Berufsleben bzw. Eltern sind und überlegen, nochmal ein Studium zu beginnen? 

Ich denke, als erstes solltest du dich fragen, was du willst. Es geht darum, wie du dein Leben leben möchtest. Ich weiß, dass viele Leute gerne zurück an die Universität gehen möchten, aber die Umstände erlauben es nicht. Aber ich habe eine Über­zeugung: Bildung ist die Grundlage für alles. Ich ermutige Menschen immer dazu, zu lernen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man an die Universität gehen muss, aber man sollte immer lernen und sein Wissen erweitern. Man verliert nichts dabei. Man lässt nicht alles hinter sich, wenn man zwei Jahre für das Studium opfert. Ich glaube, dass sich die Mühe lohnt und dass es sich auszahlt. Und wenn man mal nicht weiterweiß, gibt es immer jemanden, den man um Hilfe bitten kann: Familie und Freunde, das Studierenden­werk oder die psychologische Beratungs­stelle.

Was strebst du nach deinem Studien­abschluss an? 

Ich möchte wirklich fließend Deutsch sprechen. Momentan spreche ich nur ein bisschen Deutsch. Es wird vielleicht nicht so gut sein wie mein Englisch, aber zumindest flüssiger, weil ich eine Zeit lang in Deutschland arbeiten möchte. Ich mag das Leben hier und freue mich darauf, wieder in der Marketing-Branche tätig zu sein. Ich freue mich auch darauf, meine Erfahrungen mit meinem Studium zu verbinden, insbesondere mit der KI. Ich habe hier viele Kurse zum Thema KI besucht und freue mich darauf, alles zu kombinieren und in die nächsten 20 Jahre meines Berufslebens zu starten. Und ich wünsche mir für meinen Sohn und mich, dass wir uns hier gut einleben und sesshaft werden.

Interview: Tamara Gminsky / Dezember 2025