Exkursion
Mittelalterliche Handschriften – jedes Exemplar, jedes Blatt, jede Illustration ein Unikat. Im Rahmen einer Exkursion zum Hauptseminar „Von der Prachthandschrift zum Buchdruck: Bibliothek und Buchbesitz der pfälzischen Kurfürst*innen in Spätmittelalter und Frühneuzeit“ unter der Leitung von Dr. Anja Thaller nach Heidelberg hatten wir am 9. Mai 2025 die Gelegenheit, eine Auswahl an Handschriften im Original zu betrachten.
Der Tag begann mit einem Besuch der Universitätsbibliothek Heidelberg. Zu ihren historischen Sammlungen gehört auch ein Teil der ehemaligen Bibliotheca Palatina, deren Ursprünge ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Schon das Gebäude der UB und seine Architektur hat uns beeindruckt. In einem geräumigen Lesesaal nahm uns die Leiterin der historischen Sammlungen, Dr. Karin Zimmermann, in Empfang. Nach einer kurzen Begrüßung fasste Frau Thaller die Geschichte der Heidelberger Büchersammlungen in Mittelalter und Neuzeit zusammen. Besonders ist uns dabei in Erinnerung geblieben, dass im Zuge des Dreißigjährigen Krieges die gesamte Bibliothek von der Katholischen Liga unter Herzog Maximilian I. von Bayern von einem römischen Emissär, dem Scriptor der vatikanischen Bibliothek, Leone Allacci, nach Rom abtransportiert wurde. Im Zuge der Verhandlungen des Wiener Kongresses konnte ein kleiner Teil der lateinischen und ein größerer Teil der deutschsprachigen Handschriften erfolgreich zurückerlangt werden. Noch heute erkennt man diese Handschriften an ihren hellen Ledereinbänden, den sie in Rom erhielten, nachdem zur Erleichterung des Transports die alten Einbände noch in Heidelberg entfernt worden waren. Durch umfangreiche Digitalisierungsmaßnahmen im Vatikan und in Heidelberg konnte die Bibliotheca Palatina jedoch zumindest virtuell wieder vereint werden und ist online zugänglich.
Unser Hauptaugenmerk galt nun acht ausgewählten Handschriften aus dem späten Mittelalter, die für uns im Handschriftenlesesaal bereitgestellt wurden. Nachdem wir uns im Laufe des Seminars eingehend mit dem Buchbesitz der pfälzischen Kurfürst*innen beschäftigt hatten, gab es nun die Gelegenheit, einige dieser Codices auch persönlich in den Blick zu nehmen, vornehmlich solche Stücke, die wir im Rahmen der einzelnen Referate im Seminar bereits ausführlich besprochen hatten. Die Auswahl der Handschriften war breit gefächert: von naturkundlichen, literarischen und kriegstechnischen Schriften bis hin zu spätmittelalterlichen Chroniken. Es war großartig, diese mit den eigenen Augen betrachten zu können. Dazu wurde jeder Codex vorsichtig auf ein Schaumstoffpolster gelegt und mittels „Bleischlangen“ die aufgeschlagenen Seiten offengehalten.
Bei jeder Handschrift prüften wir zunächst den Einband und das verwendete Schreibmaterial, Pergament oder Papier. Im Fall von Papier analysierten wir das Wasserzeichen, das als „Markenzeichen“ der jeweiligen Papiermühle diente. Dieses ist besonders gut sichtbar, wenn das Blatt gegen das Licht gehalten wird. Anschließend bestimmten wir die Schriftart und betrachteten die Gestaltung der Seiten, das Layout, die Initialen und die Illustrationen. Zudem suchten wir gezielt nach Nutzungsspuren wie Randnotizen oder nachträglichen Einträgen. Frau Thaller erläuterte fachkundig die einzelnen Handschriften, die Studierenden ergänzten weitere Informationen zu den Verfassern, Werken und Auftraggebern.
Bei der ersten Handschrift handelte es sich um das von Konrad von Megenberg verfasste „Buch der Natur“ (Cod. Pal. germ. 311, um 1455/
Etwa aus derselben Zeit, um 1460, stammte auch die zweite naturkundliche Handschrift, die wir näher betrachteten: das von Heinrich Münsinger, Leibarzt Pfalzgraf Ludwigs III., verfasste „Buch von den Falken, Habichten, Sperbern, Pferden und Hunden“. Es handelt sich dabei um eine eher schmucklose Gebrauchshandschrift, die Beschreibungen von Jagdvögeln und anderen für die Jagd verwendeten Tieren enthält, darüber hinaus auch Anleitungen zu deren Pflege, Züchtung und zur Behandlung von Krankheiten (wan das pferd zuvil geessen hat; wan der hund viel flöch hat u. ä.).
Als nächstes betrachteten wir eine Handschrift von Konrad Kyesers „Bellifortis“ (Cod. Pal. germ. 787, ca. 1430), welche handbuchartig Illustrationen und Beschreibungen von Kriegs- und Belagerungsgerät wie Messer, Bliden oder Kräne beinhaltet. Manche dieser Zeichnungen waren recht fantastisch, wie etwa Panzerwägen, und wurden wohl nie umgesetzt. Spannend fanden wir auch den eingeklebten Papierquadranten. Daneben enthält der Codex auch alchemistische Rezepte, Rezepte für Schießpulver und das sogenannte „Feuerwerkbuch von 1420“.
Anschließend widmeten wir uns drei historiographischen Handschriften. Besonders beeindruckend war dabei die Chronik des Matthias von Kemnat (Cod. Heid. N.F. 9) mit ihrem originalen roten Einband mit Buchschließen, den der erste bekannte Buchbinder in Heidelberg, Alberthus Schwab anfertigte. Diese Handschrift umfasst zwei Teile: eine Weltchronik ab Christi Geburt und die Geschichte Pfalzgraf Friedrichs I. von seiner Geburt 1425 bis zu seinem Tod 1476. Mithilfe von späteren Marginalnotizen, kurzen Einträgen am Blattrand, erhält man beim Durchblättern einen schnellen Überblick über den Inhalt der jeweiligen Abschnitte.
Das „Chronicon pontificum et imperatorum“ (Cod. Pal. germ. 137) ist ein „Bestseller“ des Mittelalters, eine deutschsprachige Papst-Kaiser-Chronik, die um 1460 in der wahrscheinlich produktivsten Schreiberwerkstatt des deutschsprachigen Raumes im 15. Jahrhundert, der Werkstatt des Diebold Lauber in Hagenau, entstand. Auch sie enthält viele großformatige Illustrationen, deren Aufbau wir näher betrachteten.
Der Handschrift mit der Weltchronik des Jans Jansen Enikel (Cod. Pal. germ. 336, um 1420) waren nicht nur einige Kalenderblätter beigegeben, sondern die Chronik selbst war auch reich bebildert. Interessant waren die Anweisungen des Schreibers für den Zeichner, wie er die kolorierten Federzeichnungen auszuführen hatte, eine Farbprobe des Malers und Benutzungsspuren in Form späterer Notizen.
Besonders eindrucksvoll war auch die literarische Handschrift des Prosaromans „Die Heidin“ (Cod. Pal. germ. 353), die im Auftrag von Margarethe von Savoyen, der Ehefrau Pfalzgraf Ludwigs IV., während der Zeit ihrer dritten Ehe mit dem Grafen Ulrich V. von Württemberg entstand (um 1470). Durch das Wasserzeichen konnte das Werk datiert und anhand ihrer Ausführung der vermutlich in Stuttgart ansässigen sogenannten Ludwig Henfflin-Werkstatt zugeordnet werden. Die Illustrationen verweisen auf die Beteiligung von zwei Buchmalern. Vereinzelte Wappenzeichen des Hauses Savoyen deuten auf Margarethe als Auftraggeberin hin. Über ihren Sohn, Pfalzgraf Philipp, der ihre Bücher erbte, kam das Buch nach Heidelberg. Diese Handschrift beeindruckte durch ihre detailreichen Illustrationen: dargestellt werden Fürstinnen und Fürsten, Burgen, Ritterturniere oder auch eine lesende Frau, die einen Brief in den Händen hält. Die Handschrift hat ein sehr kleines Format und ist nicht besonders dick; es hat einen sehr schönen sogenannten „Ottheinrich-Einband“ von 1558.
Als letztes betrachteten wir noch das „Buch der Beispiele der alten Weisen“, eine Fabelsammlung aus dem indischen Raum, die Antonius von Pforr für Graf Eberhard den Älteren von Württemberg um 1474 aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzte (Cod. Pal. germ. 84). Auch diese Handschrift ist reich bebildert. Sie enthält nicht nur ein Widmungsblatt mit einer Federzeichnung der Devise Eberhards, seines Wappens und eines leeren Wappens seiner künftigen Ehefrau, sondern auch ein später hinzugefügtes Gebet mit einer kostbaren ganzseitigen Darstellung Jesu am Kreuz und dem darunter knienden Fürsten, der durch das beigegebene kurpfälzische Wappen als Pfalzgraf Philipp gedeutet wird.
Es war für uns ein Highlight, die Handschriften, mit denen wir uns bereits in digitaler Form beschäftigt hatten, im Original sehen zu können. In der haptischen Form sind uns die zu untersuchenden Bestandteile eines Codex, wie der Schriffträger, die Anzahl der beteiligten Schreiber und Maler oder die Wasserzeichen im Papier, noch einmal bewusster geworden.
Die Auseinandersetzung mit den Originalhandschriften faszinierte uns Studierende so sehr, dass wir überlegten, wie schön es wäre, solche Werke in der eigenen Bibliothek zu besitzen. Eine Diskussion über den möglichen Preis solcher Stücke machte jedoch schnell klar: Ein Ankauf ist für Privatpersonen kaum möglich.
Nach intensiven Stunden mit den Handschriften machten wir gemeinsam Mittagspause. Die nächste Station nach dem leckeren Mittagessen war die Heiliggeistkirche. An diesem Tag war die Heiliggeistkirche aufgrund einer auf den Emporen stattfindenden Tagung leider nicht zugänglich. Durch die Glaswände konnten wir uns aber dennoch ein Bild vom Inneren der Kirche machen. Frau Thaller erläuterte, unterstützt von Bildmaterial, die Baugeschichte und Bedeutung der Kirche, machte uns auf die interessante Architektur aufmerksam, auf das Grab des Stifters König Ruprecht I. und seiner Frau Elisabeth von Hohenzollern und natürlich auf die Emporen, welche seit dem 15. Jahrhundert die Büchersammlung in Form einer Pultbibliothek mit angeketteten Büchern beherbergten. Frau Thaller wies uns auch auf die schwarzen Stellen an der Fassade der Kirche hin, die Brandschäden des Dreißigjährigen Krieges, auf die Transportlöcher in den Steinen, welche durch die Arme der Steinzangen entstanden, und auf bereits im Mittelalter vorhandenen an die Kirche angebauten Verkaufsbuden. Anschließend machten wir uns vor der Kirche auf die Suche nach dem sogenannten „Brezelmaß“. Dabei handelt es sich um drei eingemeißelte Brezeln, die früher als Kontrollmaß genutzt wurden. Schließlich konnten wir die Brezeln an der Südseite, versteckt hinter einer Ladentür, ausfindig machen.
Im Anschluss spazierten wir zur Alten oder Karl-Theodor-Brücke, machten Fotos, genossen den Ausblick auf Neckar, Stadt und Schloss, und stärkten uns mit Kaffee und Eis, bevor wir den steilen Anstieg zur letzten Station unserer Exkursion, der Schlossführung, zum Heidelberger Schloss in Angriff nahmen. Da wir noch etwas Zeit hatten und das Wetter sehr schön wahr, hielten wir uns noch eine Weile im Schlossgarten auf. Vom obersten Teil des Gartens hatten wir einen unglaublichen Blick auf die Schlossruine, die Stadt und die Rhein-Neckar-Ebene. Alte Zeichnungen und Grundrisse halfen bei einer gedanklichen Rekonstruktion des Schlosses. Der Ausblick von der Scheffelterrasse war ein Highlight, sodass wir viele Fotos schossen. Danach schlenderten wir noch etwas durch den Hortus Palatinus bis zu einer Grotte.
Um 16.00 Uhr stand eine Sonderführung durch das Heidelberger Schloss auf dem Programm, die weitreichende Einblicke in die Geschichte des Schlosses und seiner Bewohner bot. Unser Guide erzählte dabei, dass eine Menge Geschichten rund um das Schloss stark romantisiert sind, aus dem 19. Jahrhundert stammen, und nun den Touristen weitererzählt werden. Er schilderte auch die Kontroverse um die Frage, wie die französischen Streitkräfte im Zuge des sogenannten Pfälzischen Erbfolgekrieges das Schloss angriffen, anhand der Zerstörung des „Krautturms“ durch französische Mineure. Als nächstes betraten wir das Schloss durch das Torhaus. Hier wies er uns darauf hin, dass Teile der Befestigung nicht Verteidigungszwecken erbaut worden und nicht zur Abwehr geeignet waren, es sich vielmehr um einen Repräsentativbau handelt. Im Ruprechtsbau sahen wir ein Modell des unzerstörten Schlosses und hörten einiges zu den verschiedenen Baustilen und den ihnen zugrunde liegenden internationalen Einflüssen sowie zu den verschiedenen Kurfürst*innen, die das Schloss bewohnten, den Heiratsstrategien und politischen Entscheidungen der pfälzischen Wittelsbacher. An Gebäudeteilen und einer mittelalterlichen Toilettenkabine, die an der Außenwand angebracht wurde, vorbei wurden wir am Hirschgraben entlang zum stark zerstörten, sogenannten „Dicken Turm“ geführt, dem höchsten Punkt des Schlosses. Einst handelte es sich um einen prächtigen Festsaal, der die Gäste mit einer außergewöhnlichen Architektur in Form einer hohen Kuppeldecke sowie einem grandiosen Ausblick beeindrucken sollte. Noch heute genießt man von dort oben einen wunderschönen Blick über die Altstadt und das Neckartal. Unsere Tour fand ihr Ende im Schlosshof, wo wir noch einiges über die Fassaden des Ottheinrich- und des Friedrichsbaues mit ihren Statuen antiker Gottheiten und Vorfahren der Kurfürsten hörten, welche Herkunft und Herrschaftsanspruch, Legitimität und Prestige symbolisierten. Damit ging ein sehr interessanter und schöner Exkursionstag zu Ende.
Erst kurz vor 18:30 Uhr war die Führung zu Ende und wir machten uns vom Schlosshof auf den Heimweg. Manche nutzen nach einem langen Tag auf den Beinen die Bergbahn für eine rasche und bequeme Talfahrt. Damit endete eine spannende Reise durch die Welt der mittelalterlichen Handschriften, der Bibliotheksgeschichte und des höfischen Lebens. Die Exkursion bot faszinierende Einblicke, die unser Verständnis der mittelalterlichen Buchkultur vertieften.
Wir bedanken uns beim Förderverein des Historischen Instituts für die großzügige Unterstützung der Exkursion!
Anastasia Groß, Erza Hadergjonaj, Emma Miller-Hund, Anna Lisa Müller, Carolin Roser, Marius Tröster











