Wie sich Muttersprachen nach der Migration verändern

Die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG) fördert eine neue universitäts­übergreifende Forscher­gruppe, welche die grammatischen Innovationen bilingualer Sprecherinnen und Sprecher erforscht

Wenn Deutsche nach ein paar Wochen oder Monaten im Ausland zurück in die Heimat kommen, sprechen sie oft anders. Sie sagen nach der Rückkehr aus den USA Sätze wie „Wo ist mein Passport?“, „Ich fühle fein“ oder nach einem Aufenthalt in Frankreich „Ich habe 23 Jahre“. Was für manche Zuhörer wie Prahlerei klingt, ist eine normale Folge des Sprachkontakts. Eine von der DFG bewilligte Forscher­gruppe untersucht nun, wie sich Muttersprachen über Jahre oder Jahrzehnte durch den Kontakt mit einer fremden Sprache verändern. In insgesamt acht Teil­projekten wollen Forscherinnen und Forscher der Universität Mannheim und sieben weiteren Universitäten den Sprachgebrauch bilingualer Sprecherinnen und Sprecher mit Migrations­hintergrund – sogenannte „Heritage Speakers“ – in den USA und in Deutschland analysieren und so Theorien zum Sprachkontakt und zur Sprachvariation verbessern und erweitern. Erwartet werden neue Er­kenntnisse zur besonderen Dynamik von Sprachvariationen, Sprachwandel und sprachlichen Repertoires in Kontaktsituationen.

Das Mannheimer Team unter der Leitung von Prof. Dr. Rosemarie Tracy vom Lehr­stuhl für Anglistische Linguistik geht der Frage nach, wie sich das Deutsche als Minderheitensprache in den USA und Namibia im Kontakt mit dem Englischen verändert. Das Projekt erhebt dafür Daten von deutschen Emigrantinnen und Emigranten der zweiten Auswanderergeneration und vergleicht diese mit bereits in einem früheren DFG-Projekt erhobenen Daten von Auswanderern der ersten Generation. „Schon aus den vorhandenen Daten lassen sich deutliche Veränderungen in der Herkunftssprache beobachten“, so Tracy. So verzichten viele Deutsch-Muttersprachler, die im englischsprachigen Ausland leben, beispielsweise auf Reflexivpronomen oder verwenden Konjunktionen anders als im Standard­deutschen. „Sie sagen Sätze wie ‚Ich fühle nicht gut‘ oder ‚Wenn ich ein kleines Mädchen war‘“, erläutert die Sprach­wissenschaft­lerin. Im Vergleich mit weiteren Studien mit mehrsprachigen Kindern, die mit Englisch und Deutsch als doppelter Muttersprache aufwachsen, möchte das Forscherteam herausfinden, welche Sprecher – mehrsprachige Kinder, Jugendliche oder Erwachsene – für Sprachinnovationen und -wandel verantwortlich sind. Die anderen Projekte der neuen Forscher­gruppe untersuchen den Wandel des Türkischen, Griechischen und Russischen im Kontakt mit den Majoritätssprachen Deutsch und Englisch und vergleicht die mehrsprachigen Teilnehmer der Studie jeweils mit Muttersprachlern dieser Sprachen.

April 2018