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Die meisten Journalistenmorde passieren in demokratischen Staaten

In welchen Ländern die meisten Journalistenmorde begangen werden und warum Lokaljournalisten am stärksten gefährdet sind – das untersucht eine neue Studie der Mannheimer Politik­wissenschaft­lerin Prof. Sabine Carey, Ph.D.

Vor etwas mehr als einem Jahr wurden der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte in der Slowakei ermordet. Vor zwei Jahren fiel die maltesische Investigativ- Journalistin Daphne Caruana Galizia einer Autobombe zum Opfer. In beiden Fällen sind die Täter noch nicht gefasst und die Ermittlungen führen unter anderem zu politischen Hintermännern. So prominent die beiden Fälle auch waren, passen sie nicht in das typische Raster von Journalistenmorden: „Die meisten Journalisten, die umgebracht werden, arbeiten für regionale Blätter und die Morde passieren meist außerhalb der jeweiligen Hauptstädte“, stellt Sabine Carey, Lehr­stuhl­inhaberin für Politische Wissenschaft IV an der Universität Mannheim, fest.

Das ist nur ein Resultat ihrer neuesten Studie, die sie mit Dr. Anita Gohdes von der Hertie School of Governance durchgeführt hat. Die beiden Politik­wissenschaft­lerinnen untersuchten Datensätze von drei verschiedenen Nichtregierungs­organisationen – und sind zu überraschenden Ergebnissen gekommen. „70 Prozent der Journalistenmorde passieren in demokratischen Ländern mit Gewaltenteilung und politischer Partizipation, mit regelmäßigen, freien und fairen Wahlen“, fasst Carey zusammen. Zwischen 2002 und 2016 wurden im oberen Viertel der als demokratisch eingestuften Länder rund 700 Journalistinnen und Journalisten umgebracht. Spitzenreiter sind dabei Länder wie Mexiko, Israel, Brasilien sowie weitere lateinamerikanische Staaten. „Die Menschenrechte werden dort teilweise missachtet – es sind dennoch Länder mit ausgeprägten demokratischen Institutionen und keine Scheindemokratien“, erklärt Carey. Eines haben sie jedoch gemeinsam: eine schwache Rechts­prechung. Je unzuverlässiger die Judikative, desto höher das Risiko, dass Journalisten in einem Land umgebracht werden.

Gründe, warum Journalisten ausgerechnet in diesen Ländern am häufigsten beseitigt werden, sind vielfältig. Geraten die dortigen Lokalpolitiker in Korruptions­affären oder wollen sonstige Machenschaften vertuschen, greifen sie üblicherweise zu Extremmaßnahmen, wenn sie wegen regelmäßiger Wahlen auf ein gutes Image angewiesen sind. Das Risiko aufzufliegen, ist dabei erstaunlich gering: In 90 Prozent der Fälle wurde niemand wegen des Mordes an einem Journalisten vor Gericht verurteilt. Würde ein Politiker in einer Demokratie hingegen eine Zeitung schließen oder die Pressefreiheit anderweitig einschränken, wäre der Aufschrei groß. Auch deshalb werden meist Lokaljournalisten von Regionalblättern zur Zielscheibe von Ermordungen: In einer Hauptstadt ziehen solche Fälle viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Dass eine kriminelle Drogen-Mafia oder auch Terroristen hinter den Morden stecken, konnten die beiden Wissenschaft­lerinnen ausschließen. Denn in einem solchen Fall wäre das Interesse des Staates sehr groß gewesen, diese Verbrechen aufzudecken. Die hohe Prozentzahl an unaufgeklärten Morden spricht klar dagegen, sagt Carey: „Die Vermutung liegt nahe, dass hier die Aufklärung seitens der Politik und des Staates verhindert wird.“

Text: Yvonne Kaul / April 2019