FORUM: Danach dauerte es noch weitere sechs Jahre bis Ihre Familie entschädigt wurde. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Gold: Als eine emotionale Achterbahnfahrt. Mein Mann und ich waren beide berufstätig, hatten zwei Kinder und ein drittes war unterwegs. Oft haben wir uns frei genommen, um nach Berlin zu fliegen und unsere Freizeit mit Recherchen zu verbringen. Nachdem ich mehr und mehr Beweise für die Geschichte meiner Großmutter fand, begann auch meine Mutter, sich dafür zu interessieren und half mir. Sie war mit der deutschen Sprache aufgewachsen, konnte Briefe schreiben und Telefonate für mich führen. Natürlich engagierten wir auch Anwälte. Innerhalb von zweieinhalb Jahren hatten wir dann alle Dokumente beisammen, um zu beweisen, dass meine Mutter und ihre drei Geschwister die rechtmäßigen Erben des Gebäudes sind. Danach zog es sich jedoch. Ich vermute, dass man darauf wartete, dass meine Mutter vorher stirbt.
FORUM: Doch es kam anders. Ihre Familie wurde 1996 mit heute umgerechnet rund 19 Millionen Euro entschädigt – ein besonderer Fall in der deutschen Nachkriegsgeschichte und ein langer Kampf für Sie. Was haben Sie dabei über sich selbst und über Ihre Familie gelernt?
Gold: Ich habe zum Beispiel herausgefunden, wie der Onkel meiner Mutter zu Tode kam. Vor der Enteignung durch die Victoria-Versicherung 1937 floh meine Mutter zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern aus Deutschland. Victors jüngerer Sohn Fritz blieb in Berlin, um das Gebäude, so gut es ging, zu verwalten. Meine Mutter wusste, dass ihr Onkel getötet wurde, kannte jedoch nicht die genauen Umstände. Während unserer Recherchen fanden wir seinen Namen in einer Liste für das Konzentrationslager Sachsenhausen datiert auf den November 1938 und auf einer Transportliste von 1943 von Berlin nach Ausschwitz, wo er ermordet wurde. Meine Mutter hatte schlaflose Nächte, als sie die genaue Geschichte nach all den Jahrzehnten erfuhr. Und was ich für mich selbst aus der ganzen Sache mitnehme: Man darf niemals aufgeben.
FORUM: Warum waren es ausgerechnet Sie, die sich so sehr für die eigene Familiengeschichte interessierte?
Gold: Die erste Generation hat sich meist ein neues Leben aufgebaut und will das erlebte Leid hinter sich lassen. Die zweite Generation ist von den Geschichten hingegen fasziniert. Ich schleppte einfach nicht denselben emotionalen Ballast mit mir herum wie meine Mutter. Sie wusste nicht, ob das Gebäude wirklich ihrer Familie gehörte, noch ob es wert sein würde, eine Entschädigung dafür einzufordern. Sie erinnerte sich nur noch daran, wie sie als kleines Mädchen das Gebäude besuchte und auf den Pelzen im Keller herumspringen durfte. Auch meine drei Kinder finden es wichtig, dass ich unsere Familiengeschichte aufgearbeitet habe.