Im Porträt: Prof. Dr. Christoph Rothe

Ob das Arbeits­losengeld in Brasilien einen Einfluss auf die Arbeits­suche hat oder Notenschnitte bei Stipendien­programmen sinnvoll angesetzt sind – das sind nur einige Fragen, auf die Prof. Dr. Christoph Rothe mit seiner Forschung Antworten findet. Als der Statistik-Professor 2017 von der Columbia University in New York an die Universität Mannheim wechselte, erhielt er gleich im selben Jahr einen ERC Grant – den Ritterschlag in Sachen EU-Forschungs­förderung. Und die Erfolge reißen nicht ab: Vom Handels­blatt wurde er im vergangenen Jahr zum forschungs­stärksten Volkswirten Deutschlands unter 40 Jahren gekürt.

Christoph Rothe freut sich. Statistik – das klingt für viele kompliziert und nach zu vielen Zahlen. Entsprechend gering ist in der Regel die mediale Aufmerksamkeit. „Durch die Auszeichnung steht mein Fach­bereich nun in der Öffentlichkeit – das finde ich besonders schön. Statistiker werden selten für Zeitungen interviewt“, erklärt der 39-Jährige. Rothe forscht zur Ökonometrie, einem Bereich der Wirtschafts­wissenschaften, in dem in besonderem Maße statistische Modelle und Analysen angewendet werden. „In der Ökonometrie bilden wir wirtschaft­liche Modelle in Daten ab und schätzen diese. Aus den Ergebnissen können Wirtschaft oder Politik Rückschlüsse ziehen und dementsprechend handeln“, sagt Rothe.

Bereits 2017 erhielt er einen ERC Grant der Europäischen Union zur Erforschung der so genannten Regressions-Diskontunitäts-Analyse. „Mit dieser Methode können wir die kausalen Effekte von Programmen ermitteln, bei denen die Teilnahme über eine Schwellenwert-Regel bestimmt wird“, erklärt Rothe. Mithilfe dieses Analyse­verfahrens hat der Statistik-Professor zusammen mit seinen Koautoren Francois Gerard und Miikka Rokkanen zum Beispiel eine Besonderheit des brasilianischen Arbeits­marktes erforscht. „In Brasilien bekommen bestimmte Arbeitnehmer­gruppen nur Arbeits­losengeld, wenn sie zum Zeitpunkt der Kündigung mindestens 16 Monate am Stück gearbeitet haben. Wir fanden heraus, dass Personen, die kurz vor diesem Zeitpunkt gekündigt werden, im Schnitt zwei Monate länger eine neue Arbeit suchen, als jene, die kurz danach ihre Arbeit verlieren. Aus unseren Ergebnissen kann die brasilianische Politik Handlungen ableiten“, erklärt der Wissenschaft­ler. Ein weiteres Feld, auf das sich Rothes Forschung in Zukunft konzentrieren wird, ist das Maschinelle Lernen (ML): „Für Statistiker ist ML sehr interessant. Ein selbstfahrendes Auto entscheidet anhand von Daten, die Sensoren außen am Auto erfassen. Das System des Autos muss erst lernen, auch mit unerwarteten Dingen wie Unebenheiten auf der Straße umzugehen. Es ist interessant zu sehen, inwieweit sich diese Methoden auf volkswirtschaft­liche Fragestellungen anwenden lassen.“

Christoph Rothes Interesse für Mathematik entwickelte sich schon zur Schulzeit. „Meine Eltern sind beide Mathematiker – das hat mich stark geprägt“, sagt er. Der Entschluss für ein Statistik-Studium in Dortmund war gefasst. „Besonders fasziniert hat mich am Ende des Studiums die Anwendung von Statistik in der Wirtschaft. In Mannheim forschte mein späterer Doktorvater dazu, bei ihm wollte ich unbedingt promovieren.“

Von der Universität Mannheim aus ging es nach der erfolgreichen Promotion in die ganze Welt: Rothe forschte mehrere Jahre an der Toulouse School of Economics und danach an der Columbia University in New York. „Toulouse gehört in Europa zu den Top-Adressen für VWL. Und in New York war man Teil des amerikanischen Ostküsten­netzwerks der besten VWL-Unis der Welt. Das waren großartige Erfahrungen“, bekräftigt Rothe. Auch privat war New York eine ereignisreiche Zeit, denn dort wurden auch zwei seiner drei Kinder geboren. „Irgendwann wollten meine Frau und ich jedoch weiterziehen. Der Ruf aus Mannheim 2017 kam deshalb genau zur richtigen Zeit.“ Zunächst habe es sich merkwürdig angefühlt wieder zurück zu sein. „Plötzlich saß ich auf der anderen Seite des Tisches – nicht mehr als Doktorand, sondern als Professor. Mein Team hat mir die Eingewöhnung jedoch sehr leicht gemacht, ich wurde sehr freundlich aufgenommen.“

Neben seiner Forschung ist Rothe vor allem die Arbeit mit Studierenden und Promovierenden wichtig. „Ich empfinde es als Privileg, mit interessierten Studierenden zusammenzuarbeiten. Ich bin immer gespannt, welche Ideen sie haben und was ich von ihnen lernen kann“, verdeutlicht der Wissenschaft­ler. Auch die Studierenden schätzen diese Zusammenarbeit: Vier Mal zeichnete ihn die Fach­schaft seines Bereiches in New York als besten Dozenten aus. Auch in Mannheim setzt Rothe die Nachwuchs­förderung fort. „Ich arbeite gemeinsam mit meinen Promovierenden an mehreren Projekten. Den Nachwuchs an die Forschung heranzuführen, ist mir sehr wichtig“, erklärt er.

Ebenso essenziell ist für ihn der Austausch mit anderen Forscherinnen und Forschern. „Mehrmals im Jahr sind Wissenschaft­ler von verschiedenen Universitäten aus dem Bereich Ökonometrie hier in Mannheim zu Gast. Sie halten an meinem Lehr­stuhl öffentliche Vorträge und wir tauschen uns aus.“ Umgekehrt besucht Rothe Konferenzen und Seminare an auswärtigen Universitäten. „Treffen dieser Art sind auch über den Fach­bereich hinaus sinnvoll, denn so erhalte ich neue Blickwinkel für meine Forschung. Gerade für mich ist die Schnittstelle zu den Anwendern sehr wichtig.“

Viele neue Ideen, häufig unterwegs und engagiert in der Nachwuchs­förderung. „Darüber hinaus habe ich keine außergewöhnlichen Hobbies. Ich freue mich einfach, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen“, erklärt Rothe. Der älteste Sohn ist acht und hat eine ganz eigene Vorstellung, was Rothe macht: „Als Zweitklässler versteht er das Prinzip Schule und glaubt, ich sei so etwas wie ein Lehrer für Erwachsene.“ Die drei Kinder haben Rothe an der Universität besucht und waren von den Hörsälen begeistert. Vielleicht lassen auch sie sich vom Beruf ihres Vaters inspirieren.

Text: Luisa Gebhardt / September 2020