Den Becher mit dem dampfenden Tee in der Hand hält Josefine Heinemann an diesem eisigen Novembermorgen fest umschlossen. Gerade erst ist die Studentin aus dem Flieger gestiegen, jetzt spaziert sie mit zügigen Schritten durch die Mannheimer Quadrate. Seit sechs Jahren studiert die 23-jährige Wirtschaftsmathematik an der Universität Mannheim, dass sie hier gelandet ist, war jedoch keineswegs Zufall.
„Ich habe mich tatsächlich auch wegen der Möglichkeit des Spitzensport-Stipendiums an der Universität Mannheim beworben. Ich wusste, hier kann ich den Studiengang studieren, den ich gerne möchte und zusätzlich gibt es die Möglichkeit, diese tolle Unterstützung zu bekommen“, erzählt Josefine von ihren Anfängen im Barockschloss.
Dank des Stipendiums hat sie geschafft, erfolgreich zu studieren und sich gleichzeitig ihrer großen Leidenschaft zu widmen – dem Schachspiel. Und diese Leidenschaft, sie begleitet Josefine schon weit mehr als ihr halbes Leben. Mit sieben Jahren saß die heutige Stipendiatin das erste Mal vor einem Schachbrett, in einer Grundschul-AG im heimischen Gardelegen in der Nähe von Magdeburg war das. Rasch entdeckte der dortige Trainer Josefines Talent, es folgten der Eintritt in den Schachverein, unzählige Turniere und eine steile Karriere. 2016 erhielt sie den Titel „Internationale Meisterin der Frauen“, zwei Jahre später wurde ihr der Titel „Großmeisterin der Frauen“ verliehen.
Erst kürzlich spielte sie bei der Mannschaftseuropameisterschaft 2021 alle neun Runden und erzielte das beste Einzelergebnis der deutschen Spielerinnen. Lange auf den Erfolgen ausruhen? Davon hält Josefine nicht viel. „Klar habe ich ein bisschen gefeiert, als ich den Titel der Großmeisterin erhielt. Das wollte ich ja unbedingt erreichen. Aber das war jetzt keine lange Party. Es geht immer weiter,“ sagt das Schachtalent und lacht.
Momentan arbeitet Josefine daran, den nächsten Titel zu erlangen, vier bis fünf Stunden Training am Tag sind bei ihr der Durchschnitt. Zusätzlich gibt sie Schachunterricht und in der zweiten Jahreshälfte finden die Turniere in der ganzen Welt statt. Ein Leben mit weniger Schach im Alltag? Für Josefine Heinemann schlicht undenkbar. Und so sind ihre beruflichen Ziele für die Zeit nach dem Studium bereits klar. „Mein Plan ist jetzt erstmal, dass ich als Schachspielerin und Schachtrainerin arbeiten möchte. Ich habe auch jetzt schon viele Schülerinnen und Schüler, die ich unterrichte. Aber warum soll ich es nicht probieren? Vielleicht ist es möglich, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf machen kann“, berichtet die 23-jährige. Der Tee im Becher ist beinahe leer und dampfen tut er auch nicht mehr, Josefine Heinemanns Schritte werden langsamer. Mit dem Schloss im Rücken lässt sie den Blick über die Quadrate schweifen.
„Schach hat etwas sehr Ästhetisches. Wenn eine lange Variante ohne rechts und links gespielt wird, kann ich problemlos bis zu 15 Züge vorausberechnen. Ich sehe einfach das Brett in meinem Kopf und die Figuren, wie sie ziehen. Die Quadrate hier in Mannheim sind für mich allerdings nicht so logisch wie die auf dem Schachbrett“, sagt sie grinsend und verabschiedet sich dann. Nachher stehen noch zwei Stunden Online-Training auf dem Plan und am Samstag ist Bundesliga, da möchte sie vorher versuchen, sich noch etwas zu entspannen.
Text: Jule Leger / April 2022