Forscherinnen-Porträt: Prof. Dr. Michaela Wänke

Fokussiert und mit voller Leidenschaft für ihr Fach – die Konsumenten­psychologin Michaela Wänke forscht seit zehn Jahren an der Universität Mannheim. Nachhaltigkeit, Mobilität, Ernährung, soziale Gerechtigkeit, Gesundheit – wer die Probleme der westlichen Welt angehen will, muss zunächst das Konsum­verhalten der Menschen verstehen, davon ist die Mannheimer Professorin fest überzeugt.

Duschgel mit 70% Öl-Anteil, Trink-Kakao, der mindestens 38% Kakao enthält, 55% Frucht in der Himbeermarmelade. Beim Gang durch den Super­markt bleibt das Auge an ihnen hängen. Knallbunt, meist rund und stets bedruckt mit Versprechungen: Produktlabels. Was für den gemeinen Super­markt­gänger ein Kaufanreiz sein soll, ist für die Mannheimer Konsumenten­psychologin Michaela Wänke ein Forschungs­gegenstand. Wird die gebürtige Mainzerin nach ihrer Fach­richtung gefragt, erzählt sie gerne von diesem Projekt, das von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft (DFG) gefördert wurde. Denn hier zeigt sich besonders deutlich, um was es in der Konsumenten­psychologie geht. „Wir haben uns gefragt, was sich Menschen unter Produktaufschriften vorstellen. Meine Hypothese war, dass wenn auf einer Packung Kekse „20% Mandelanteil“ steht, die Konsumentinnen und Konsumenten dann glauben, das sei viel“, erklärt Wänke. Die Ergebnisse der Studien unterstützen diese Annahme: Auch wenn die Konsumentinnen und Konsumenten eigentlich keine Ahnung hatten, ob ein Anteil viel oder wenig sei, erschlossen sie bei Inhaltsstoffen, die sie für etwas Gutes hielten, dass der angegebene Anteil viel sei – mehr als bei anderen, vergleichbaren Produkten. Warum auch sonst sollte der Hersteller, der ja damit werben will, diesen Anteil hervorheben?  

Konsumentscheidungen verstehen und menschliches Konsum­verhalten verstehen – darum geht es der 62-jährigen. „In der Öffentlichkeit sind die Konsumenten­psychologen oft die Bösen. Das sind die, die uns dazu verleiten, Dinge zu kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen und uns beeinflussen. Das ist nicht das Ziel von Konsumenten­psychologie und es auch nicht mein Ziel. Das Ziel ist, Konsumenten­verhalten zu verstehen – wie es das Ziel jeder Wissenschaft ist, Dinge zu verstehen. Und das Ziel der Psychologie ist nun mal, menschliches Verhalten zu verstehen“, macht Wänke deutlich. Konzentriert blickt sie an diesem Morgen in die Laptopkamera, spricht mit ruhiger Stimme. Michaela Wänke wägt die Worte sorgsam ab, mit denen sie über ihre Arbeit spricht. Ihre Publikations­sprache ist Englisch, dennoch muss sie nie im Gespräch nie nach den deutschen Entsprechungen suchen. Obwohl der Bildschirmhintergrund weichgezeichnet ist, lassen sich im Regal hinter der Professorin dutzende Bücher im Regal erahnen. Bücher, die gemeinsam mit der Psychologin eine echte Forschungs­weltreise auf dem Buckel haben. „Ein großes Ziel war für mich immer, viel im Ausland zu arbeiten. Eigentlich finde ich es da fast schon langweilig, dass ich am Ende doch wieder hier in Mannheim gelandet bin“, erzählt Wänke und muss schmunzeln. Schon als frischgebackene Abiturientin wusste sie, was sie wollte: Konsumenten­psychologin werden. Da es diesen Fach­bereich eigentlich noch gar nicht gab, studierte sie zunächst Psychologie in Mainz, Haifa und Mannheim und wandet sich Themen der Sozialpsychologie zu. Nach dem Diplom arbeitete Wänke bei der BRAUN AG und betrieb dort drei Jahre lang internationale Markt­forschung. Für ihre Promotion kehrte sie an die Universität Mannheim zurück, im Anschluss ging sie mit einem Heisenberg-Stipendium nach Sydney, trat ihre erste Professur in Erfurt an, machte als Ordinaria für Sozial- und Wirtschafts­psychologie zehn Jahre Station in Basel. Dann jedoch wurde in Mannheim ein Lehr­stuhl für Konsumenten­psychologie ins Leben gerufen – und damit genau jene Professur geschaffen, von der Wänke schon in jungen Jahren geträumt hatte. Seit Anbeginn hat sie diesen Lehr­stuhl mit aufgebaut und in Mannheim einen Konsumbegriff geprägt, der weit über bloße Werbeformen hinausgeht. „Wenn man sich so umsieht, ist Konsum allgegenwärtig, ob man es gut oder schlecht findet, ist eine andere Sache, aber wir können es auch eigentlich kaum vermeiden. Wir können Beeinflussungs­versuche kaum vermeiden, wir können Konsumentscheidungen kaum vermeiden. Die allermeisten Entscheidungen, die wir im Alltag treffen, sind Konsumentscheidungen, wenn auch im weitesten Sinne“, erklärt Wänke.  

Welche Politiker wählen wir? Wie ernähren wir uns und woher beziehen wir unsere Lebens­mittel? Wänke denkt dabei immer auch an die großen gesellschaft­lichen Probleme und ist überzeugt davon, dass die Forschung der Konsumenten­psychologinnen und Konsumenten­psychologen hier einen wichtigen Beitrag leisten kann. „Ich glaube tatsächlich, dass sehr viele der Probleme, die wir als Gesellschaft haben – nicht alle, keineswegs – aber viele, mit Konsum zusammenhängen. Das Thema Nachhaltigkeit ist doch zum großen Teil auch ein Konsum­problem. Mobilität – ein großes Problem, Gesundheit, Übergewicht, Rauchen – all das sind ja große Probleme und gerade Ernährung ist ein reines Konsumthema. Wir müssen Konsum­verhalten verstehen, wenn wir solche Dinge angehen wollen.“ Dass das mit­unter gar nicht so einfach ist, wird deutlich, wenn Wänke vom kürzlich abgeschlossenen Projekt ELECTRIFIC erzählt. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Forscherstab wurde bei diesem von der EU geförderten Projekt die erste App entwickelt, die den Anteil erneuerbarer Energie an Ladestationen für Elektroautos anzeigt. Wänkes Team stellte Untersuchungen zu Anreiz­systemen an. Was motiviert die Leute mehr, dass sie Geld sparen oder dass sie CO2 sparen? Oder aber: Wie bekommt man die Fahrerinnen und Fahrer von E-Autos dazu, dass sie den energiesparenden eco-Button drücken? So heuerte das Forschungs­team eine Flotte Elektro-Mietautos an und startete, was Wänke gerne den Königsweg der Konsumenten­psychologie nennt, ein Experiment.  Ein Teil der Autos wurde mit Aufklebern im Innenraum ausgestattet. Ein voller Erfolg. Glaubten die Probanden zu wissen, dass andere Menschen vor ihnen den Button eingeschaltet hatten, dann drückten sie ihn ebenfalls. Die eigentliche Er­kenntnis des Experiments war aber eine andere: Ganz gleich, ob der eco-Button eingeschaltet war oder nicht, es gab schlicht keinen Unterschied im Energieverbrauch, da die Probanden mit dem Gaspedal übersteuerten, um trotzdem schneller zu beschleunigen. „Wir hatten den falschen Ansatz, denn wir hätten die Menschen eigentlich beeinflussen müssen, tatsächlich energiesparender zu fahren – was viel schwieriger ist. Den eco-Button zu drücken ist eine einzige Handlung – das Fahr­verhalten hingegen ist größtenteils automatisiert“, sagt Wänke.  

Wie sich der Gang in den Super­markt für jemanden anfühlt, der sich tagtäglich mit Konsumentscheidungen, Konsum­verhalten und der Beeinflussung der menschlichen Psyche auseinandersetzt? Manchmal sei das für sie wie eine kleine Expedition, sagt Michaela Wänke und lächelt verschmitzt in ihre Laptopkamera, denn in Supermärkten finde sie immer Inspirationen für die nächsten Forschungs­projekte.  

Text: Jule Leger / April 2022