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ERC-Grant für Mannheimer Soziologen: Lars Leszczensky erforscht Zukunft des sozialen Miteinanders

Der Europäische Forschungs­rat (European Research Council, ERC) hat den Mannheimer Soziologen Dr. Lars Leszczensky mit einem der begehrten ERC Starting Grants ausgezeichnet. Er erhält rund 1,5 Millionen Euro, um herauszufinden, wie sich soziale Kontakte von Kindern und Eltern wechselseitig beeinflussen. An der Universität Mannheim sind damit derzeit sechs ERC-Grants angesiedelt, drei davon am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES).

Europas Gesellschaften werden immer vielfältiger, etwa in ethnischer und religiöser Hinsicht. Aber von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter pflegen viele Menschen eher Freundschaften mit „Ihresgleichen“. Wie werden sich solche sozialen Trennlinien künftig entwickeln? Gestalten sich die sozialen Kontakte von Kindern ähnlich wie die ihrer Eltern – auch wenn die heutige Jugend in zunehmend vielfältigen Gesellschaften aufwächst? Oder hat die steigende Vielfalt im Alltag von Kindern womöglich sogar auch Aus­wirkungen auf die Kontakte ihrer Eltern? Der 38-jährige Dr. Lars Leszczensky, Soziologe am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim, erforscht bereits seit über zehn Jahren soziale Integration und Inter­gruppen­beziehungen. Der Forschungs­rat der Europäischen Union (ERC) hat ihn nun mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. 

Der Rektor der Universität Mannheim, Professor Thomas Puhl, freut sich über die Auszeichnung: „In den vergangenen drei Jahren haben Mannheimer Sozial­wissenschaft­lerinnen und -wissenschaft­ler insgesamt drei ERC-Grants erhalten. Die Preise machen deutlich, dass die Universität Mannheim in den Sozial­wissenschaften zu den besten Forschungs­einrichtungen in Europa gehört.“ 

Neue Chancen für den sozialen Zusammenhalt? 

Mit seinem ERC-Projekt möchte Leszczensky herausfinden, wie sich die sozialen Kontakte von Kindern und Eltern gegenseitig beeinflussen. „Kinder wachsen heute in deutlich diverseren Gesellschaften auf als ihre Eltern es taten. Dadurch knüpfen viele Kinder fast schon automatisch vielfältigere Kontakte. Dies bietet wiederum die Chance, auch den sozialen Zusammenhalt und die soziale Durchlässigkeit in der Elterngeneration zu erhöhen“, erklärt Leszczensky. 

Die gängige Sichtweise besagt, dass soziale Integration hauptsächlich von „oben“ nach „unten“ verläuft: „Eltern geben Kindern nicht nur ihre eigenen Ansichten, Vorurteile und Werte mit, sondern beeinflussen auch, mit wem ihre Kinder in Kontakt kommen und mit wem sie sich anfreunden“, so der Soziologe. Doch diese gängige Sichtweise sei zu kurz gedacht: „Niemand bestreitet, dass Eltern ihre Kinder beeinflussen. Aber es kann auch andersrum funktionieren: Kinder sind heutzutage häufig von Gleichaltrigen mit unterschiedlichsten Hintergründen umgeben, etwa im Kindergarten, in der Schule oder im Sportverein. Viele Eltern lernen die Freundinnen und Freunde ihrer Kinder und deren Eltern früher oder später kennen – und genau hierin liegt eine Chance, dass auch die sozialen Kontakte der Eltern breiter werden.“ 

Integrieren also die Jungen die Älteren in die Gesellschaft von morgen? Leszczensky hat nun fünf Jahre Zeit und ein Budget von rund 1,5 Millionen Euro, um herauszufinden ob – und wenn ja wie – das funktionieren könnte. 

Dafür wird er zunächst ein umfassendes theoretisches Modell zur wechselseitigen Beeinflussung sozialer Kontakte von Kindern und ihren Eltern entwickeln. Dieses möchte er anschließend empirisch überprüfen – was großen Aufwand mit sich bringt. „Wer mit wem Kontakt hat oder auch nicht – das lässt sich noch einigermaßen leicht bestimmen. Aber wir wollen natürlich vor allem herausfinden: Warum? Und wie ändert sich das im Laufe der Zeit? Zudem wollen wir das alles sowohl für Kinder als auch für ihre Eltern wissen. Studien, die sich die sozialen Kontakte von Kindern und Eltern im Zeitverlauf ansehen, gibt es aber noch nicht.“ Entsprechend muss Leszczensky mit seinem Team komplexe Daten erheben. Hierfür plant er, circa 2.500 Kindergarten- und Schulkinder mitsamt ihren Eltern in Abständen von je einem Jahr dreimal zu befragen. Der Clou dabei ist, dass jeweils alle Eltern und Kinder innerhalb des gleichen Jahrgangs befragt werden: „Auf diese Weise können wir nicht nur individuelle Entwicklungen nachvollziehen, sondern auch untersuchen, ob und wie sich die Kontakte zwischen Kindern und zwischen ihren Eltern verändern und wechselseitig beeinflussen“, so Leszczensky.

Insgesamt zehn ERC-Grants für die Universität Mannheim 

Seit Gründung des Europäischen Forschungs­rats wurden zehn Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaft­ler der Universität Mannheim mit einem ERC-Grant ausgezeichnet, davon fünf mit einem ERC Starting Grant und fünf mit einem ERC Consolidator Grant. Vier Projekte sind bereits abgeschlossen, sechs sind aktuell aktiv. Am MZES sind mit dem Forschungs­vorhaben „Partnerschafts­bildung von Geflüchteten in Deutschland“ (PARFORM) der Soziologin Prof. Dr. Irena Kogan und dem Projekt „Agency-Communion-Theorie“ (ACT) des Sozialpsychologen Prof. Dr. Jochen Gebauer derzeit noch zwei weitere ERC-Grants angesiedelt.

Text: Nikolaus Hollermeier/Mai 2023

Lars Leszczensky, geboren 1984 in Hannover, studierte Soziologie, Journalismus und Philosophie in Leipzig. 2016 promovierte er an der Universität Mannheim. Seither ist er als Research Fellow und Projektleiter am Mannheim Centre for European Social Research (MZES) der Universität Mannheim tätig. 2018–2021 vertrat er Professuren in Mannheim und Leipzig. Sein Forschungs­interesse liegt auf den Bereichen Migration und Integration, Intergroup Relations sowie Social Networks.