Generation Zukunft

12.000 Studierende zählt die Universität Mannheim. Das sind 12.000 verschiedene Gesichter und Geschichten. Wir haben uns gefragt: Wie sieht eigentlich der Alltag der Studis aus? Was beschäftigt sie? Womit hadern sie? Und: Wohin wollen sie? Mit vier unserer Studierenden haben wir gesprochen: Mma, Jannik, Hannah und Jonas. Alle von ihnen nehmen an Stipendien­programmen der Uni teil – dem Chancenstipendium, dem MRN Spitzensportstipendium, dem Mannheim Stipendium und dem Deutschland­stipendium – doch ihre Erlebnisse, Gedanken und Ziele sind ganz verschieden. Im FORUM erzählen sie uns ihre Geschichten und lassen uns einen Augenblick teilhaben an ihrem Studi-Alltag.

Mma

Ich heiße Mma Visser-Koomson. Ich glaube, mein Alltag unterscheidet sich ein wenig, von dem der meisten Studierenden, denn ich habe eine elf Monate alte Tochter. Sie geht jetzt in die Kindertagesstätte, so dass ich dieses Semester wieder ganz regelmäßig meine Kurse besuchen kann. Ich mache gerade meinen Master in Sozial­wissenschaften und bin seit 2020 hier in Mannheim. Meinen Bachelor­abschluss habe ich in Ghana gemacht, dem Land in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Ich liebe Mannheim. Ich finde, die Stadt hat die perfekte Größe und die Universität ist bekannt ist für ihre guten Rankingergebnisse in den Sozial­wissenschaften. Teil meines Bachelor­studiums war ein Auslands­jahr an einer französischen Universität. Deshalb studierte ich ein Jahr lang in Nantes und besuchte bei der dieser Gelegenheit auch Berlin und war zum ersten Mal in Deutschland. Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass ich irgendwann einmal hier wohnen würde! Momentan lerne ich Deutsch und besuche Kurse bei Studium Generale. Was mir hier sehr gefällt, ist die Direktheit, mit der die Menschen Dinge ansprechen. Das war zugegebenermaßen erstmal ein kleiner Kulturschock für mich, da in der ghanaischen Kultur die Menschen einen hohen Aufwand betreiben, um Probleme oder Kritik möglichst freundlich zu verpacken. Auch das Verständnis von „Freundschaft“ ist hier ganz anders. Wenn sich in Ghana zwei Menschen treffen und Nummern austauschen, dann sind sie automatisch Freunde und erkundigen sich regelmäßig per WhatsApp nach dem Befinden des anderen und verabreden sich auf einen Kaffee. Das ist hier überhaupt nicht so, man braucht wesentlicher länger, um Bande zu knüpfen.  

Für meine Tochter wünsche ich mir, dass sie einmal stark und mutig durch die Welt gehen wird. Die Zukunft ist weiblich – ich möchte, dass sie sich bei ihren großen Träumen von nichts aufhalten lässt. Female Empowerment ist sowieso mein Herzensthema, in Ghana habe ich mich für eine kleine NGO engagiert, die Aufklärungs­arbeit für die Mädchen in kleinen Dörfern leistet. Die Mädchen dort können sich oft nicht einmal Hygieneartikel für ihre Menstruation leisten oder sie sind nicht ausreichend über Verhütungs­mittel informiert. Obwohl jede und jeder in Ghana in die Schule geht und in meiner Klasse ebenso viele Mädchen wie Jungs waren, ist die Erziehung nicht gleichberechtigt. Mädchen werden dort auf die Heirat vorbereitet und müssen schon früh im Haushalt mithelfen, während die Jungs einfach spielen dürfen. Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen und fand es immer un­gerecht, dass sie Fernsehschauen oder chillen durften, während ich völlig selbstverständlich das Geschirr abwaschen musste. Ich fand schon als Kind, dass es keinen Grund für diese Ungleichbehandlung gibt. Mein Plan für die Zukunft ist es, meinen Ph.D. zu machen und ich hoffe, dies hier in Mannheim tun zu können. Ich habe hier schon so viel Unterstützung erfahren, von den Dozentinnen und Dozenten oder zum Beispiel vom Studien­büro, die mir auch vom Chancenstipendium erzählt haben, dass mich derzeit fördert.  

Jannik

Ich heiße Jannik Abbou und bin in Weinheim aufgewachsen. Mein Vater ist leidenschaft­licher Mountainbiker und so bin auch ich zu meinem Sport, dem Mountainbike Downhill, gekommen. Meine Eltern sagen immer, ich konnte Fahrrad fahren, bevor ich laufen konnte. Nachdem ich von dem Spitzensportstipendium an der Uni Mannheim erfahren habe, war es für mich sofort klar, dass ich hier an die Uni will. Ich habe 2017 mit dem Studium in Wirtschafts­pädagogik angefangen und seitdem hatte ich auch meine größten, sportlichen Erfolge. 2018 wurde ich zum Beispiel Vizestudentenweltmeister. Das Stipendium hilft enorm, vor allem, was das Organisatorische angeht. Ich trainiere jeden Tag bis zu vier Stunden. Mein Vater ist auch mein Trainer, er ist Sportpädagoge und leitet ein Fitnessstudio. Wir haben vor ein paar Jahren ein Team mit anderen Fahrerinnen und Fahrern gegründet und trainieren seitdem zusammen: Im Fitnessstudio, auf der Rolle, auf dem Spinning Bike, im Wald oder beim Techniktraining. Die internationalen Semesterzeiten in Mannheim passen zu meinem Sport sehr gut, da an der Uni im Sommer wirklich frei ist und bei mir genau dann die ganzen Wettkämpfe sind. Die meisten meiner Wettkämpfe finden in Europa statt, einige Weltcups sind aber auch in Übersee: Australien und den USA. Mich fasziniert an dem Sport die Perfektion, die man erreichen muss. Das ist vergleichbar mit der Skiabfahrt oder mit der Formel 1: Du hast Deine Strecke mit Hindernissen, die ist klar abgesteckt und das Ziel ist es, als schnellstes vom Start ins Ziel kommen. Wenn man auf der Strecke ist, ist man da echt in so einer Art Flow-Zustand, da bekommt man nicht mal das Publikum mehr so wirklich mit. 

Das Training ist unter der Woche abends, sodass das mit den Kursen an der Uni gut hinhaut. Am Wochenende trainieren wir auch tagsüber, aber da habe ich ja keine Uni-Kurse. Wenn ich erst um 12 Uhr die erste Vorlesung habe, nutze ich die Zeit und gehe vorher auch schon trainieren – ins Fitnessstudio, das mein Vater leitet. Einmal die Woche gebe ich bei uns im Verein Sportkurse für Kinder: Mountainbike und Parcours. Mir macht Spaß, die Kids für etwas zu begeistern und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu bewegen und sportlich zu sein. Nach meinem Studium mache ich erstmal Wirtschafts­praktikum für das Referendariat, also geht der erste Weg erstmal in die Wirtschaft und dann schaue ich mal. Mein Plan ist außerdem, den Sport weiterhin so auszuführen. Am allerliebsten würde ich mich später mal selbstständig machen, das wäre mein absoluter Traum. Bis das funktioniert, möchte ich möglichst viele Erfahrungen sammeln. 

Hannah

Ich heiße Hannah Müller und ich studiere hier an der Uni den MaKuWi, also den Master Kultur und Wirtschaft mit dem Schwerpunkt Philosophie. Aufgewaschen bin ich in Offenburg und in Karlsruhe habe ich meinen Bachelor in International Management gemacht. Dort hatte ich aus privaten Gründen nicht die beste Zeit. Deshalb war Mannheim für mich auch ein richtiger Neustart. In meinem Bachelor-Auslands­semester in Mexiko bin ich zum ersten Mal mit dem Bereich „Business Ethics“ in Berührung gekommen und da habe ich schnell gemerkt, dass mich diese Richtung sehr interessiert. Und so stand für mich fest: Ich möchte im Master nicht dieses reine BWL machen, sondern eine andere Kombination. Durch Zufall bin ich dann auf den MaKuWi gestoßen, habe die Beschreibung gelesen und mir die Module angeschaut und war direkt überzeugt. Ich war von Mannheim gleich so ein bisschen verzaubert, hatte die Stadt direkt gerne. Meine erste WG befand sich in den U-Quadraten, da war eine Menge los, immer Halligalli, aber ich mochte das, so mitten im Geschehen zu sein.

„Philosophie und BWL?“ – Bereiche, die auf den ersten Blick widersprüchlich klingen, genau das finde ich so spannend. Ein Grund, warum ich unbedingt hier studieren wollte, war der Nachhaltigkeits­schwerpunkt. Seit einem halben Jahr arbeite ich jetzt auch als Hiwine am Lehr­stuhl für Nachhaltiges Wirtschaften und habe die meisten meiner BWL-Kurse im Nachhaltigkeits­bereich belegt. Da gibt es ganz viele interaktive Formate, zum Beispiel konnten wir Studierende eine Dokumentation drehen: So richtig mit Kamera und Interviews – zum Abschluss gab es ein „Film-Festival“, da wurden die ganzen Filme dann gezeigt. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. In Philosophie hatten wir jetzt ein Podcast-Modul, da durften wir über zwei Semester einen richtigen Podcast produzieren und am Ende auch aufnehmen. Das war interessant mal zu sehen, wieviel Arbeit in so eine einzige Episode fließt.

Seit einem Jahr engagiere ich mich ehrenamtlich bei „Das andere Schulzimmer“: Da kommen Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen durch das Schul­system gefallen sind und holen mithilfe von Ehrenamtlichen ihren Schul­abschluss nach. Mein Schüler wird jetzt in Kürze sein Abitur machen und ich helfe ihm zwei Stunden pro Woche in Französisch. Dieses Engagement macht mir richtig Freude und ist wohl auch ein Grund, warum ich als Mannheim-Stipendiatin ausgewählt wurde.

Jetzt ist mein letztes richtiges Semester und dann im Herbst beginne ich mit meiner Master­arbeit. Der Plan ist es danach erstmal ein, zwei Monate nach Asien zu reisen, bevor der Ernst des Lebens, der Einstieg ins Berufsleben, beginnt. Generell ist es mir wichtig, nach meinen eigenen Werten zu leben. Aus diesem Grund suche ich auch gezielt nach Unternehmen, die zu mir passen. Ich kann mir gut vorstellen, meine Karriere entweder im nachhaltigen Bereich oder in der Entwicklungs­zusammenarbeit zu beginnen. Auch über Selbstständigkeit habe ich längerfristig schon einmal nachgedacht, denn so kann ich Ideen umsetzen, wie ich sie für sinnvoll halte. Auch weil meine Eltern eine eigene Apotheke hatten, konnte ich sehen, wie viel Freiheit, aber auch Verantwortung, ein eigenes Unternehmen mit sich bringt.  

Jonas

Ich heiße Jonas Wenzel und wohne seit fünf Jahren hier in Mannheim, aber aufgewachsen bin ich in Südhessen. 2018 habe ich mit dem Bachelor BWL angefangen und bin jetzt im Master. Ich mag Mannheim total, ich wohne mittlerweile im Lindenhof, das heißt, ich bin in fünf Minuten am Rhein und habe super viel Natur in der Nähe. Und ich habe über das Studium und mein Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr mit der Zeit viele coole Leute gefunden. Schon mein Start hier war außergewöhnlich: Ich hatte ein Zimmer im Bumiller-Raab-Haus, einem Studierenden­wohnheim in der Schwetzinger Vorstadt. Da haben auf neun Stockwerken auf jedem Stockwerk 16 Leute zusammen in einer WG gewohnt. In den drei Jahren lebte ich mit weit über zehn Nationen zusammen, das war eine spannende Zeit. Leider wurde das Bumiller-Raab-Haus abgerissen, aber ich habe organisiert, dass wir dort mit der Freiwilligen Feuerwehr vorher nochmal eine Übung machen konnten. Denn so ein Abrisshaus, ist das Genialste, was passieren kann: Wir mussten keine Rücksicht nehmen und konnten mit Wasser aus dem Schlauch üben und alles verrauchen – ein realistischer Übungs­szenario findet sich kaum.  

Ein großes Argument für das Studium in Mannheim war für mich das integrierte Auslands­emester im Bachelor. Und das habe ich dann in Vancouver an der UBC, verbracht. Die UBC liegt wunderschön auf einer Landzunge, direkt am Pazifik. Auf dieser Landzunge ist das komplette Universitäts­dorf, wie eine eigene Stadt, so ein bisschen abseits von Vancouver. Der Bachelor bietet einem die Möglichkeit, fach­fremde Kurse zu wählen und davon habe ich in Kanada eifrig Gebrauch gemacht. Unter anderem habe ich einen Anatomie-Kurs belegt. Das war zwar das aufwendigste Fach, für das ich jemals studiert habe, aber es ist mir auch noch nie so leicht gefallen für irgendetwas zu lernen, weil es mir einfach solch einen Spaß gemacht hat.  

Dieses Semester sitze ich an meiner Seminararbeit und besuche noch einige Kurse, montags abends haben wir Übung von der Freiwilligen Feuerwehr (und auch sonst kann der Melder natürlich jederzeit anspringen!), ich arbeite als Hiwi am Lehr­stuhl Strategisches und Internationales Management bei Professor Brauer und ich mache viel Sport – zum einen, um mich für das Ehrenamt fit zu halten und zum anderen, um den Kopf vom Lernen frei zubekommen. Das Studieren macht mir aber immer noch richtigen Spaß, über das Deutschland­stipendium durfte ich noch einmal Studierende aus anderen Fächern mit ganz anderen Hintergründen kennenlernen. 

Im nächsten Semester gehe ich ins Auslands­semester, da geht’s nach Lissabon an die Nova S.B.E., die hat einen wunderschönen neuen Campus, direkt am Meer. Ende 2024 werde ich fertig sein mit meinem Studium. Was dann folgt, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau. Ich brauche langfristig gesehen auf jeden Fall einen Job, der sich mit den Dingen, die mich sonst so im Leben begeistern, vereinbaren lässt. Es gibt so viele Optionen und ich glaube, das klingt erstmal so positiv, aber für unsere Generation ist auch ein enormer Druck da, diesen ganzen Möglichkeiten, die wir haben, gerecht zu werden und alles auszuprobieren und alles zu erreichen. Ich habe kein Problem damit, viel für irgendwas zu geben oder viel zu arbeiten und mich da ins Zeug zu legen, wenn es etwas ist, das mich begeistert. Und ich muss einfach noch das finden, was mich so richtig begeistert, wo ich Spaß dran habe. Deshalb bin ich froh, dass ich jetzt im Master noch Zeit habe, dass ich nochmal ins Auslands­semester gehe und da nochmal ganz neue Eindrücke mitnehmen darf. 

Textprotokolle: Jule Leger/Mai 2023